Wiederinbetriebnahme von Kernkraftwerken – eine grundsätzliche Betrachtung
Nach Abschaltung der letzten in Betrieb befindlichen drei deutschen Kernkraftwerke am 15. April 2023 wurden immer wieder Fragen an den Verband herangetragen, ob und ggf. wie ein Wiederbetrieb möglich sei. Nachdem nun dieses Jahr aus den USA bekannt wurde, das Kernkraftwerk Three Mile Island 1 wieder in Betrieb nehmen zu wollen, soll mit dieser Fachinformation auf einige grundsätzliche Fragen zur Wiederinbetriebnahme von Kernkraftwerken (KKW) eingegangen werden.
Ein erster notwendiger Schritt vor einer Wiederinbetriebnahme bereits abgeschalteter KKW ist der dazu erklärte politische Wille seitens der Regierung sowie die Schaffung der entsprechenden rechtlichen Rahmenbedingungen. In Deutschland wäre zuallererst das Atomgesetz zu ändern, welches in die Verantwortung des Bundes fällt und die Beschaffung politischer Mehrheiten voraussetzt.
Weiterhin sollte die Bevölkerung an den jeweiligen Standorten einer Wiederinbetriebnahme zustimmen. Gegen den Willen letzterer solche Entscheidungen zu treffen, ergibt – wie die Auseinandersetzungen der letzten Jahrzehnte zeigen – wenig Sinn und trägt nicht zu einer langfristigen Akzeptanz bei.
Sodann müsste sich ein Betreiber einer solchen Anlage finden, der eine Wiederinbetriebnahme vornehmen würde, was i.d.R. eine Frage der Wirtschaftlichkeit ist. Es können jedoch auch andere wichtige Rahmen- und Randbedingungen initial eine Rolle spielen, wie etwa Wunsch oder Notwendigkeit, CO2-arm erzeugten Strom produzieren zu wollen.
Nicht zuletzt müssten die erforderlichen Fachkräfte für den Anlagenbetrieb und die Wartung ebenso wie für die Überwachung auf Seiten der Behörden zur Verfügung stehen. Auch an den Hochschulen und Universitäten wäre eine Verstärkung bzw. Wiederbelebung der Studiengänge erforderlich; ebenso müssten die notwendigen Ressourcen seitens der Industrie wieder aufgebaut werden.
Nach Beantwortung der obigen Fragen muss schließlich geklärt werden, ob sich ein bereits abgeschaltetes KKW noch in einem Zustand befindet, der rein technisch gesehen eine Wiederinbetriebnahme erlaubt. Durch fortgeschrittenen Rückbau, aber auch lange Standzeiten könnten wesentliche oder wichtige Bauteile bzw. ganze Baugruppen wie Turbinen und Generatoren unbrauchbar geworden sein.
Alle der genannten Maßnahmen und Randbedingungen können grundsätzlich geschaffen werden, erfordern jedoch ein klares gesellschaftliches Bekenntnis zur Energieerzeugung aus Kernkraft.
Aktuelle Beispiele für die solcherart motivierte Rückholung von Kernkraftwerken gibt es aus den USA: Das Kernkraftwerk Palisades war 1971 – 2022 in Betrieb und soll bis Ende 2025 wieder in Betrieb genommen werden. Erst kürzlich wurde vom Betreiber Constellation angekündigt, das Kernkraftwerk Three Mile Island 1, das 2019 abgeschaltet wurde, im Rahmen eines auf 20 Jahre laufenden Stromliefervertrages mit Microsoft wieder in Betrieb zu nehmen.
In Deutschland gibt es solche Beispiele bisher nicht; Gründe für eine Wiederinbetriebnahme indes gäbe es viele: Nach der Reform des europäischen Emissionshandels (EU-ETS) – etwa zur selben Zeit, als die letzten Kernkraftwerke abgeschaltet wurden – sind Emissionszertifikate wesentlich und dauerhaft teurer. Dadurch steht kein kostengünstiger Kohlestrom mehr zur Verfügung. Auch Strom aus Erdgas (als fossiler Energieträger ebenfalls vom EU-ETS betroffen) hatte sich verteuert, im Wesentlichen aus geopolitischen Gründen. Somit fehlt auch diese kostengünstige Alternative. Zudem ergab sich zeitgleich mit der Abschaltung der deutschen KKW die Wandlung Deutschlands vom Stromexporteur zum Importeur. Dieser Wandel fand statt, weil es mit den Kernkraftwerken in Deutschland in Summe tendenziell günstiger war, Strom zu erzeugen als zu importieren. Mit Abschaltung der KKW hat sich dies umgekehrt. Heute wird Strom zu geringen oder gar negativen Preisen exportiert und zu hohen Preisen importiert. Der internationale Vergleich zeigt, dass – merkbar schon seit 2019 – durch den deutschen Atomausstieg die Strompreise besonders für die heimische energieintensive Industrie um bis zu Faktor drei im Verhältnis zum Ausland anstiegen. In der Folge wandern Teile der Industrie ab.
Um den aktuellen Weggang und Abbau der deutschen Industrie, insbesondere der energieintensiven Sektoren, aufzuhalten und möglichst ganz zu stoppen, um gleichzeitig kostengünstig und CO2-arm produzierten Strom wieder in den Markt zu bringen, der zudem grundlastfähig ist, wäre aus Sicht des Verbandes die schnellstmögliche Wiederinbetriebnahme der hiesigen Kernkraftwerke anzustreben, sofern dies technisch noch möglich ist. Vor dem Hintergrund der aktuellen politischen Situation in Deutschland böte sich dazu jetzt die Chance.
Fazit/Zusammenfassung: Theoretisch gesehen gibt es kaum Grenzen, ein ehemaliges Kernkraftwerk wieder in Betrieb zu nehmen, solange keine irreversiblen Schäden vorhanden sind bzw. kein irreversibler Rückbau bereits stattgefunden hat. Die Entscheidung für eine Wiederinbetriebnahme bedingt
a) einen politischen Willen dafür und eine entsprechend geänderte Gesetzgebung,
b) einen Nachweis der technischen Machbarkeit und
c) die damit eng verbundene Klärung der Frage der Wirtschaftlichkeit.
Nicht zu vergessen ist das notwendige Vorhandensein von Fachpersonal für die Ertüchtigung der Anlage zum Wiederbetrieb und Betriebspersonal für den erneuten Dauerbetrieb. Auch Finanzkapital muss bereitgestellt werden, welches für all diese Maßnahmen notwendig ist. Als positiv zu vermerken ist, dass es in Deutschland immer noch eine hervorragend aufgestellte kerntechnische Industrie gibt, welche die Wiederinbetriebnahme von Kernkraftwerken begleiten könnte, sei es durch Servicedienstleistungen oder Lieferung von neuem Brennstoff. Diese Industrie steht für solche Aufgaben bereit. Die letztendliche Entscheidung indes für einen Wiederbetrieb ist jedoch immer anlagen- und standortabhängig, sie ist in ihrer Struktur komplex und kann nur mit dem bisherigen Betreiber gefällt werden.
Kerntechnik Deutschland e. V. (KernD)
Berliner Str. 88 A
13467 Berlin
info@kernd.de
Tel. +49 30 31988299
Ansprechpartner
Nicolas Wendler
Leiter Presse und Politik
nicolas.wendler@kernd.de
Tel. +49 172 2379184
Wiederinbetriebnahme von Kernkraftwerken – eine grundsätzliche Betrachtung