Expertenmeinung

Expertenmeinung
Dr.-Nico-Vollmer

Dr.-Nico-Vollmer

Januar 2019

Nico Vollmer hat an der TU München Physik studiert und am Forschungsreaktor München –II über hochdichte nukleare Brennstoffe promoviert. Seit 2006 arbeitet er in verschiedenen Positionen bei Framatome, wie Neutronik, Materialwissenschaften oder im Defuelling für Magnoxreaktoren. Seit 2017 ist er verantwortlich für das weltweite Marketing in der Business Unit Fuel bei Framatome.

Die Brennelemente für Druck- und Siedewasserreaktoren, die weltweit zu hunderten im Einsatz sind, werden seit Jahrzehnten mit Urandioxidbrennstoff (UO2) in Brennstäben aus Zirkoniumlegierungen gefertigt. Nun hört man verstärkt von ganz anderen Konzepten: Vollmetall-Brennelemente ohne Pellets und Hüllrohre oder so genannter Accident Tolerant Fuel. Können sie uns kurz einen Überblick über aktuelle Entwicklungen geben?

1954 ging das erste Kernkraftwerk der Welt in Obninsk, Russland, mit metallischem Brennstoff aus Uran-Molybdän ans Netz. Die hohe Metalldichte und Wärmeleitfähigkeit brachten viele Vorteile. Allerdings gab es auch Nachteile, etwa die relativ niedrige Schmelztemperatur oder das Schwellverhalten. Heutzutage dominieren keramische Brennstoffe: 98 % der von Kernkraftwerken erzeugten Elektrizität wird aus UO2-Tabletten gewonnen. Selbstverständlich wurden und werden auch die keramischen Brennstoffe weiterentwickelt – beispielsweise bereits 1997 mit einer Chromdotierung der UO2-Tabletten. Damit wurde die Plastizität verbessert sowie die Spaltgasfreisetzung verringert.

Durch Fukushima stellte sich ab 2011 die Herausforderung, Brennstoffe und Brennelemente zu entwickeln, die höhere Sicherheitsmargen bei kritischen Ereignissen bieten. Hierfür wurde bei Framatome ein Projekt namens „PROtect“ gestartet. In einem ersten Schritt wurden Hüllrohre mit Chrom-Beschichtung entwickelt und ab 2016 in einem Reaktor getestet. In einem zweiten Schritt soll das bisherige Hüllrohrmaterial gegen eine Siliziumkarbid-Sandwichstruktur (SiCf-SiC) ausgetauscht werden. Alle internationalen Hersteller von Brennelementen arbeiten ebenfalls an Enhanced Accident Tolerant Fuel (EATF).

Ein komplett neuartiges Konzept, wie metallische Brennelemente für Druckwasserreaktoren, verfolgt Framatome in dem Joint Venture „Enfission“ zusammen mit dem US-Unternehmen Lightbridge Corporation. Prototypen werden derzeit außerhalb des Reaktors getestet, erste Tests in einem Leistungsreaktor sind für 2021 vorgesehen.


Welche Vorteile ergeben sich aus diesen neuen Konzepten und lassen sich innovative Brennelemente nur in neu errichteten Anlagen nutzen?

PROtect bietet höhere Margen in Bezug auf Versprödung, Wasserstoffaufnahme und soll Unfälle wie Fukushima langfristig verhindern. Das Chrome-Coating wird die sogenannte „Coping Time“, also die Reaktionszeit, in einem ersten Schritt deutlich erhöhen. In einem weiteren Schritt wird die Zirkoniumlegierung der Hüllrohre gegen SiCf-SiC ersetzt, weil es hier keine Zirkonium-Wasserstoffreaktion geben kann. Damit wird eine Freisetzung von Wasserstoff verhindert. Ein neues Reaktor-Design wird nicht benötigt.


Wo stehen wir heute bei der Umsetzung der Konzepte? Sind das eher Ideen, oder werden wir bald eine industrielle Fertigung sehen, vielleicht auch in Deutschland?

PROtect ist nicht nur eine Idee. Seit 2018 haben wir unser Programm zur industriellen Fertigung abgeschlossen. Hüllrohre mit Chromium-Beschichtung und Chromdotierte UO2-Tabletten können bei unserem Tochter-Unternehmen, Advanced Nuclear Fuels, in Lingen hergestellt werden. 2019 werden dann komplette Brennstäbe im Rahmen des PROtect-Programms in Brennelementen in einem kommerziellen Reaktor in Europa und den USA eingesetzt. 2021 folgen ganze Vorläufer-Brennelemente. Ab 2025 könnten wir Nachladungen mit unseren PROtect-Brennstäben anbieten. Wir bei Framatome sind darauf sehr stolz, schließlich ist PROtect das weltweit führende EATF-Programm.

Witalij-Trutnew

Witalij Trutnew

Januar 2019

Witalij Trutnew ist seit Juli 2017 Leiter der Direktion für Bau und Betrieb schwimmender Kernkraftwerke beim Konzern Rosenergoatom. Im Jahr 1984 absolvierte er sein Studium am Iwanowoer Institut für Energietechnik. Seine berufliche Laufbahn startete er im KKW Kalinin, wo er vom Elektro-Installateur zum stellvertretenden Chefingenieur Wartung aufstieg. 2012 wurde Witalij Trutnew zum Chefingenieur der Direktion des im Bau befindlichen Baltischen KKW, zwei Jahre später wurde er zum Direktionsleiter ernannt und bekleidete diesen Posten bis 2017.

Welchen Hintergrund hat das Projekt eines schwimmenden Kernkraftwerks und wozu wird die Akademik Lomonossow dienen?

Die sichere, umweltfreundliche und wirtschaftlich sinnvolle Strom- und Wärmeversorgung von klimatisch schwierigen und schwer zu erreichenden Gebieten ist das primäre Ziel der Akademik Lomonossow. Durch den Einsatz des schwimmenden KKWs werden pro Tag bis zu 200.000 Tonnen Kohle und 120.000 Tonnen Heizöl eingespart und der entsprechende Ausstoß von klimaschädlichen Gasen wird verhindert. Der ungehinderte und kostengünstige Zugang zu Energie ermöglicht der ortsansässigen Bevölkerung in Pewek – dem Einsatzort der Akademik Lomonossow – eine positive soziale und wirtschaftliche Entwicklung und trägt erheblich zur Steigerung ihrer Lebensqualität bei.

Die block-modulare Komposition des schwimmenden KKWs oder SMRs, wenn Sie so wollen, mit integrierter Spaltzone, Dampferzeuger, Druckhalter sowie sonstiger Ausrüstung ermöglicht eine Fabrikherstellung der Anlage. Auch der Rückbau der Anlage erfolgt in einer spezialisierten Fabrik, wodurch der Zustand der „Grünen Wiese“ vor Ort bereits durch den Abtransport der Anlage erreicht wird.

 

Akademik Lomonossow

Was können Sie uns zur Technik der Reaktoren und des Schiffes sagen, worauf beruht die Entwicklung des Reaktorschiffs?

Die schwimmende Anlage ist mit zwei Reaktoren vom Eisbrecher-Typ KLT-40S je 35 MW stark ausgestattet – zusammen sind sie in der Lage, bis zu 70 MW Strom und 50 Gcal/h Wärme im Nennbetrieb zu erzeugen – genug, um eine Stadt mit 100.000 Einwohnern zu versorgen. Die dazugehörige Infrastruktur, einschließlich eines Gebäudekomplexes, hydraulischer Strukturen und einer Küstenplattform stellen einen sicheren Hafenaufenthalt des Energieblocks und die Stromübertragung an die Küste sicher.

Die Entwicklung des schwimmenden KKW beruht auf der bewährten Referenztechnologie der Schiffreaktoren mit einer langen und erfolgreichen Betriebsgeschichte der Atomeisbrecher Tajmyr und Wajgatsch sowie des LASH-Leichters Sewmorput. Die passiven und aktiven Sicherheitssysteme auf dem schwimmenden Energieblock bieten einen mehrschichtigen, absoluten Schutz der Umwelt vor den schwersten hypothetischen Störfällen. Der Schiffsrumpf ist so konzipiert, um einer Kollision mit einem Eisberg oder mit einem anderen Schiff standzuhalten. Der Schiffskörper und die lasttragenden Strukturen des Aufbaus bestehen aus Stahl, der auch bei niedrigen Temperaturen sprödbruchbeständig ist. Die Räume des Reaktorblocks sind mit einem doppelwandigen Körper isoliert und die Reaktoranlagen sind mit speziellen biologischen Barrieren ausgestattet.

Wo in Russland oder in der Welt sehen Sie weitere Anwendungsmöglichkeiten für Reaktorschiffe? Könnte die Akademik Lomonossow einen Weltmarkt für schwimmende Kernkraftwerke begründen?

Derzeit haben eine Reihe von Ländern im Nahen Osten und in Südostasien Interesse an der innovativen russischen Entwicklung gezeigt.

Heute sind bereits Arbeiten an der zweiten Generation von schwimmenden KKWs im Gange – einem optimierten schwimmenden Energieblock, der kleiner als seine Vorgängerversion sein wird. Er soll mit zwei Reaktoren des Typs RITM-200M mit einer Leistung von je 50 MW ausgestattet werden. Gerade diese Variante des schwimmenden Blocks wird für den Export angeboten.

Frank-Hennig

Frank-Hennig

April 2018

Frank Hennig, Diplomingenieur für Kraftwerksanlagen und Energieumwandlung, war viele Jahre in Kohlekraftwerken eines großen Versorgers beschäftigt, zuletzt als Betriebsrat. Heute arbeitet er als Referent in der technischen Fortbildung und für eine Gewerkschaft. Er ist Autor des Buches „Dunkelflaute – oder warum Energie sich nicht wenden lässt“ und schreibt die Serie „ABC des Energiewende- und Grünsprech“ online auf „Tichys Einblick“ sowie im gleichnamigen Magazin.

In der Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage nach den Kosten der Energiewende vom Dezember 2017 wird ausgeführt, dass diese nicht berechnet werden können. Was ist Ihre Einschätzung hinsichtlich der Kosten?

Die Antwort der Bundesregierung ist ein Eingeständnis der mangelnden Übersicht und Kontrolle über die weltweit einzigartige und nationalstaatlich angelegte Energiewende. Es gibt keinen Masterplan, somit keine Kostenkalkulation und -kontrolle. Professor Fratzscher vom DIW bezeichnete die Energiewende als „Experiment“ und hat damit eine meines Erachtens sehr treffende Bezeichnung gefunden. Nach der Methode des „Trial-and-Error“ tastet sich die Bundesregierung staatsplanerisch voran und hofft auf Erfolg. Experimenten ist allerdings eigen, dass ihr Ausgang offen ist.

Bei der im Grunde nur begonnenen Stromwende dürfte es in der Tat äußerst schwierig sein, alle Kostenbestandteile umfänglich zu erfassen. Neben den vergleichsweise leicht ermittelbaren Posten wie EEG-Umlage und Redispatchaufwand sowie Kosten für Netzstabilitätsanlagen, Reservekraftwerke und Sicherheitsbereitschaften gibt es weitere indirekte Kosten, die schwer zu erfassen sind.

Da ist zunächst die Fülle nicht überschaubarer direkter Subventionen und Förderungen auf allen Ebenen von der EU bis zu den Kommunen, von Förderprogrammen aus Brüssel bis hin zu Agenda-21-Zahlungen in Städten und Gemeinden für den Einsatz regenerativer oder emissionsarmer Energieanlagen. Die Auflistung KfW-geförderter Maßnahmen für den Einsatz von Ökoenergien ist umfangreich. Finanzspritzen für Ökoindustrieanlagen gibt es fast immer.

Die indirekten Kosten der Energiewende sind vielfältig und nicht in ihrer Gesamtheit darstellbar. Die Frage beispielsweise, welcher Netzausbau ohnehin erforderlich gewesen wäre und wie weit der Zubau dezentraler volatiler Erzeugung den Ausbau insbesondere der Mittel- und Niederspannungsebene zusätzlich erforderlich macht, ist nicht seriös zu beantworten. Ebenso die Bewertung der Verluste kommunaler Stadtwerke durch den verfallenen Börsenstrompreis und Investitionen von Kommunen und Bürgerenergiegesellschaften in Windindustrieparks, die in etlichen Fällen defizitär sind. Unterbliebene Investitionen in die konventionelle Energiebranche wie auch in der energieintensiven Industrie (siehe Abwanderung der Karbonfaserproduktion) sind ebenso monetär nicht erfassbar.

Betroffen vom niedrigen Großhandelspreis beim Strom sind die großen Versorger mit noch nicht abgeschriebenen Wärmekraftwerken und insbesondere Gaskraftwerken, die auf Grund des hohen Brennstoffpreises am Markt nicht mehr bestehen können. Dies ist aus Sicht der Emissionen kontraproduktiv, aber durch den Markteingriff des EEG logische Folge. Auch die verminderten Steuereinnahmen von Unternehmen der konventionellen Energiewirtschaft sind indirekte Kosten der Energiewende. Die deutschen Industrie- und Gewerbestrompreise für nicht umlagebefreite Kunden sind die zweithöchsten in Europa und kosten Wachstum und Beschäftigung.

Hinzu kommen die Wertverluste an Immobilien im ländlichen Raum, die nur noch unter Verlust oder gar nicht mehr verkäuflich sind, weil manche Gemeinden von Windkraftanlagen umzingelt sind.

Auch drastische Fehlsteuerungen des EEG, zum Beispiel die nach Überförderung 2012 geplatzte Solarblase, kosten Geld. Nicht zuletzt sind die Kosten des Kernenergieausstiegs für den Steuerzahler durch grobe handwerkliche Fehler der Bundesregierung im Rahmen des Atommoratoriums 2011 auf noch nicht bezifferbare Höhe gestiegen. Desweiteren könnten Kosten für den Steuerzahler daraus entstehen, dass Abschalttermine von Kernkraftwerken nicht mit den im Atomkompromiss 2002 vereinbarten Reststrommengen übereinstimmen.

Zudem gibt es keinerlei Anzeichen dafür, dass sich die Bundesregierung bemüht, die Endlagerkosten zu begrenzen.

Absehbar ist, dass im weiteren Verlauf der Energiewende die Kosten, direkte wie indirekte, weiter steigen werden. Wie schnell und wie weit, wird auch die Bundesregierung nicht vorhersagen können. Fakt ist: Wind und Sonne schicken keine Rechnung, sind aber nicht kostenlos – nach deutscher Energiewendemethodik nicht mal kostengünstig.

Für das Jahr 2017 melden deutsche Netzbetreiber zum Teil stark steigende Kosten für Noteingriffe ins Stromnetz. Was sind die primären Ursachen für diese Kosten und wie lassen sie sich aus Ihrer Sicht reduzieren?

Die steigenden Kosten für die Netzeingriffe sind verursacht durch die fehlende Koordinierung des Zubaus volatiler Erzeuger mit dem Netzausbau. Auch hier fehlt der Masterplan, der die 16 Energiestrategien der Länder mit der Bundesstrategie und den Netzausbauplänen zusammenführt.

Die Eigentümer regenerativer Anlagen müssten zeitnah unternehmerische Verantwortung und entsprechendes Risiko übernehmen. Bisher gilt: „Build and forget“, das heißt, nach dem Bau der Anlagen folgt das Kassieren. Um Ableitung, Vermarktung, Verkauf und Abrechnung des Stroms, inklusive der nötigen Netzdienstleistungen müssen sich andere kümmern. Und selbst bei netztechnisch nötigen Außerbetriebnahmen von Anlagen werden Einspeisevergütungen weitergezahlt. Dies ist ein krasser Webfehler im EEG, der dringend behoben werden muss.

Eine sinnvolle Lösung wäre die Abschaffung des EEG und die Verabschiedung eines Folgegesetzes, das Forschung fördert und grund- und regellastfähige Einspeisung anreizt.

Der steigende Anteil der regenerativen Energien an der Stromerzeugung in Deutschland scheint darauf hinzudeuten, dass die Energiewende in ihrer jetzigen Form erfolgreich sein könnte, trotz der voraussichtlichen Zielverfehlung hinsichtlich der Reduktion der Treibhausgase zum Jahr 2020. Würden Sie diese Deutung teilen?

Nein. Ich halte es für einen Trugschluss, auf der Basis zugebauter installierter Leistung den Trend einfach hochzurechnen bis zu 100 Prozent. Es wird vergessen, dass dazwischen ein Systemwechsel liegt. Bisher wird der volatile Strom in ein vorhandenes, durch konventionelle Erzeugung stabilisiertes Netz eingebettet und mit Netzdienstleistungen versehen. Künftig müssen diese Leistungen auch von den Erneuerbaren kommen, wobei weder technisch noch regulativ Entwicklungen in diese Richtung zu beobachten sind.

Der größte Teil erneuerbarer Einspeisung ist volatil und bringt etwa 35 Prozent an elektrischer Arbeit im Jahresdurchschnitt, schwankend zwischen etwa zehn bis fast hundert Prozent. Dies macht ein dauerhaftes Backup-System erforderlich. Der weitere unkoordinierte Ausbau volatiler Einspeiser würde zeitweise zu erheblichem Überangebot führen, das Backup aber nicht überflüssig machen. Bei Windstille ist die Anzahl stehender Windkraftanlagen uninteressant.

Die Finanzierung der Fixkosten beider Systeme ist ein volkswirtschaftlicher Ballast, der auf diese Weise nicht zu vermeiden ist und im Trend weiter steigen wird. Sollten konventionelle Kraftwerke künftig durch riesige Speicherkapazitäten ersetzt werden können, fallen auch für diese erhebliche Kosten an.

In jedem Fall besteht dringend die Aufgabe, die regenerativen Erzeuger an die Regelfähigkeit und die Erbringung von Netzdienstleistungen heranzuführen – schließlich sollen sie dereinst vollversorgen. Wann das soweit sein wird, sollte man nüchtern an Hand der weiteren Entwicklung bewerten und nicht von Wunschdenken geleitete Termine setzen.

Michael Shellenberger

Michael Shellenberger

atw 11/2017 | DAtF-Notes

November 2017

“Everyone now knows Germany won’t make its 2020 climate target because of its nuclear phase-out”

You have a long personal record of activism in environmental and particularly climate policy. Given that nuclear power is not the beauty queen of clean energy options and thus often left out of consideration, what caused you to start advocating for nuclear power to keep up and possibly expand capacities?

Like most people in Germany, I was raised to be anti-nuclear. As a child I thought nuclear plants and nuclear bombs were basically the same thing. When I was in my twenties I helped stop a radioactive waste dump from being built in California. I only started to question my prior beliefs while doing energy policy analysis to address climate change. We couldn’t see any way that intermittent forms of energy like solar and wind could power the world without keeping billions of people in poverty and destroying the natural environment. Around the same time, one of my childhood idols, Stewart Brand, one of America’s most famous and respected environmentalists, came out and said we needed nuclear energy to solve climate change. Perhaps the biggest turning point was Fukushima. I went back and read the United Nations reports on Chernobyl, and then interviewed scientists, and learned that radiation wasn’t what I had been led to believe. I then joined Stewart and climate scientist James Hansen in advocating for nuclear. 

Despite the decision to phase out nuclear power in Germany there is still a lot of knowledge on operation of NPPs and advanced nuclear safety technologies available in Germany. Do you think there is a place for the German nuclear industry in the global quest for clean power?

The German nuclear industry is still one of the best in the world, thanks to the brilliance of German engineering, and your strong craft culture. I haven’t given up on Germany and I don’t think anyone else should either. But for Germany to compete internationally for nuclear business it’s going to have to stop shutting down its nuclear plants. Without a domestic future for nuclear, international business options decrease rapidly and permanently. South Korea is staring down this very same problem right now: if Korean technology and experts are not to be trusted at home, who should be expected to pay for them abroad? 

The German federal government and more strongly some state governments are increasingly pressuring neighboring countries to shut down existing NPPs and also have been opposing new build projects. What do you think of such a policy of exporting nuclear phase-out?

I think it’s grossly irresponsible and unethical. Already Germany is gaining a reputation as a climate outlaw for its nuclear phase-out. German emissions have risen two years in a row and will probably rise again this year. German efforts to phase out nuclear are resulting in more deadly air pollution and potentially catastrophic climate change.  If France, Sweden, Belgium, and Switzerland follow Germany’s bad example they can expect not just rising energy costs but also sharp and immediate spikes in carbon emissions. 

Everyone now knows Germany won’t make its 2020 climate target because of its nuclear phase-out. Germany’s reputation is about to worsen significantly when it hosts United Nations climate talks in November in Bonn. I’ll be there with climate scientist James Hansen to give a talk, as will other pro-nuclear environmentalists.

Prof. Dr. Clemens Walther

Prof. Dr. Clemens Walther

September 2017

Beim Rückbau von Kernkraftwerken fallen Reststoffe unterschiedlicher Art an. Rund zwei Prozent sind als schwach- und mittelaktive Abfälle für die Endlagerung vorzubereiten.Der größte Teil des Kraftwerks allerdings ist nie Radioaktivität  ausgesetzt gewesen. Eine dritte Stoffgruppe weist – besonders nach Dekontamination – nur ganz geringfügige Radioaktivität auf. Wie sind diese verschiedenen Reststoffe unter dem Gesichtspunkt des Strahlenschutzes einzuschätzen?

Von schwach- oder mittelaktiven Abfällen kann bei unsachgemäßem Umgang eine Gefahr für die menschliche Gesundheit ausgehen. Deshalb schreibt der Gesetzgeber auch genau vor, wie solche Stoffe zu entsorgen sind. Derzeit ist die Endlagerung im Endlager Konrad vorgesehen, das sich in Bau befindet.

Reststoffe, die zwar aus einem Kernkraftwerk stammen, die aber nicht mit radioaktiven Stoffen belastet, also kontaminiert oder aktiviert wurden, können genauso behandelt werden, wie Reststoffe aus nicht-nuklearen Anlagen. Sie sind aus Sicht des Strahlenschutzes unbedenklich.

Quasi zwischen diesen Kategorien existieren Reststoffe, die kontaminiert oder aktiviert waren, aber so effektiv von radioaktiven Stoffen befreit (dekontaminiert) werden konnten, dass die dann noch von ihnen ausgehende Strahlung sehr gering ist. Sie können auf normalen Deponien entsorgt werden. Der Nachweis, dass für die Bevölkerung dadurch kein erhöhtes Risiko entsteht, wird im Rahmen des Freigabeverfahrens erbracht

Dieses Freigabeverfahren wird in Deutschland zur Unterscheidung der verschiedenen Reststoffe beim Rückbau  angewendet, um über den weiteren Umgang zu entscheiden. Wie funktioniert die Freigabe und wie ist das hinsichtlich Strahlenschutz und Gesundheit zu bewerten?

Die Freigabe gemäß § 29 der Strahlenschutzverordnung ist ein Verfahren, mit dem radioaktive Stoffe aus der Überwachung gemäß Atomgesetz entlassen werden. Dies bedeutet, dass diese Stoffe danach als nicht-radioaktive Stoffe weitergegeben und verarbeitet oder entsorgt werden können. Für eine sogenannte „uneingeschränkte Freigabe“ muss der Abgebende nachweisen, welches Risiko sich aus der Verwendung oder Deponierung dieser Stoffe für die Bevölkerung ergeben könnte. Das Maß für das Risiko durch Strahlung ist die sogenannte „effektive Dosis“. Die Erhöhung dieser effektiven Dosis durch die freigegebenen Stoffe darf für eine Person der Bevölkerung maximal ein halbes Prozent der effektiven Dosis durch natürliche Strahlung betragen.

Im Mai 2017 hat der Deutsche Ärztetag eine Resolution beschlossen, in der eine Freigabe von Stoffen aus Kernkraftwerken generell abgelehnt und empfohlen wird, alles Material, das nicht in ein Endlager verbracht wird, dauerhaft am Standort zu lagern. Wie schätzen Sie diese Forderung ein?

Um die Konsequenzen eines solchen Vorgehens einzuordnen, sind mehrere Gesichtspunkte gegeneinander abzuwägen. In der Tat sind die Risiken kleiner Strahlendosen für die menschliche Gesundheit nicht vollständig erforscht. Man darf aber diese zusätzliche Dosis nicht isoliert betrachten, sondern muss diese immer im Zusammenhang mit Dosen aufgrund natürlicher Strahlung  betrachten. Die Wirkung auf lebende Organsimen ist nämlich immer gleich, ob die Strahlung von künstlichen oder natürlichen Radionukliden ausgeht. Werden die oben dargelegten strikten Regelungen zur Freigabe eingehalten, so erhöht sich die jährliche effektive Dosis einer Einzelperson mit hypothetischem Wohnort Köln von ca. 2,10 mSv (milliSievert) auf maximal 2,11 mSv. Die gleiche Erhöhung ergibt sich, wenn diese Person entweder auf die kanarischen Inseln in den Urlaub fliegt, eine Woche Skiurlaub in den Bergen verbringt (Höhenstrahlung), oder eine (einzelne konventionelle) Röntgenaufnahme eines Arms oder Beins erhält.

Die, wenn auch kleine und mit geringer Wahrscheinlichkeit auftretende, zusätzliche Dosis durch freigegebene Stoffe könnte durch einen Verschluss in einem „Bunker“ wie ihn der Deutsche Ärztetag vorschlägt in der Tat fast völlig vermieden werden. Jedoch steht dem gegenüber, dass dieser Nutzen eher theoretischer Art wäre und ein Einschluss keine dauerhafte Lösung darstellt. Ein solches Bauwerk müsste über sehr lange Zeit gewartet werden. Tut man dies nicht, kann diese Barriere schon nach wenigen Jahrzehnten schadhaft werden und versagen. Weiterhin verhindert der Erhalt eines solchen Gebäudes den im Rahmen der Energiewende geforderten Rückbau aller Leistungsreaktoren zur „grünen Wiese“ mit der Möglichkeit der uneingeschränkten Nachnutzung der Gelände. Stattdessen verbleibt ein Gebäude, das schließlich doch rückgebaut werden muss. Man verschiebt also erhebliche Lasten aus der Nutzung der Kernenergie auf zukünftige Generationen. Das widerspricht dem ethischen Grundsatz, dass nach Möglichkeit der Verursacher und Nutznießer einer Technik für die Folgen aufkommen muss.

Dr. Burkhard Kleibömer

Dr. Burkhard Kleibömer

Juli 2017

Dr. Burkhard Kleibömer ist Physiker und nach seiner Promotion auf dem Gebiet der Molekülphysik seit 1988 für URENCO Deutschland GmbH bzw. das Vorgängerunternehmen Uranit GmbH tätig. Zunächst arbeitete er an der Bewertung von Laserverfahren zur Urananreicherung. Seit 1993 ist sein Aufgabengebiet das Genehmigungs- und Aufsichtsverfahren für die Urananreicherungsanlage Gronau. Dort ist er seit 2004 für den Bereich Überwachung zuständig und war u.a. für die Erlangung der Erweiterungsgenehmigung der UAG auf 4.500 tUTA/a und die Durchführung des Stresstests verantwortlich. Dr. Kleibömer hat auf verschiedenen Tagungen über sein Arbeitsgebiet vorgetragen.

Die wichtigste Quelle für Kernbrennstoff ist die Förderung von Natururan. Wie sieht es da mit der Versorgung aus, heute und langfristig betrachtet?

Uran ist auf der Häufigkeitsskala der Elemente ungefähr auf Platz 40, ungefähr so häufig wie Silber. Uran ist daher wie jeder andere Rohstoff zu betrachten: zuerst werden „gute“ Vorkommen ausgebeutet, dann muss man die schlechteren Vorkommen mit höherem Aufwand und Kosten nutzen. Die OECD geht davon aus, dass Uran für die nächsten 200 Jahre im Erdboden wirtschaftlich zu gewinnen ist. Uran wird in einer Vielzahl Länder, auf allen Kontinenten, abgebaut. Dadurch ist die Versorgungssicherheit für die Zukunft gewährleistet.

Die meisten Kernkraftwerke in der Welt nutzen angereichertes Uran als hauptsächlichen Brennstoff. Wie steht es um die Versorgungssicherheit auf der technischen Seite, also bei der Anreicherung und der vorgelagerten Konversion. Gibt es genug Kapazität und wo befinden sich die Anlagen?

Die Urananreicherung erfolgt heute mit dem Gasultrazentrifugenverfahren, das u.a. von den deutschen Physikern Dr. Gernot Zippe und Dr. Max Steenbeck sowie später maßgeblich in der URENCO-Gruppe entwickelt wurde. Anhand sehr schnell drehender Zentrifugen wird aus der gasförmigen Verbindung UF6 von Uran mit Fluor das Isotop Uran-235 konzentriert. Das ist möglich, weil sich durch die Massenunterschiede zum Isotop Uran-238 verhältnismäßig mehr Uran-235 in der Rotormitte befindet und dort abgeschöpft wird. Da der Anreicherungsgrad einer einzelnen Zentrifuge relativ gering ist, werden verschiedene Stufen durchlaufen, bis sich letztendlich die Konzentration des Uran-235 von der natürlichen 0,7% auf ca. 3-5% erhöht hat. Dieser physische Trennungsprozess ist technisch sehr anspruchsvoll und das Verfahren obliegt dem Geheimschutz. Es gibt derzeit vier global agierende Anreicherer: ROSATOM (Russland), die URENCO-Gruppe, die französische AREVA und – für den Eigenbedarf – das Chinesische Unternehmen CNNC. ROSATOM betreibt vier Anlagen, AREVA eine, CNNC zwei und die URENCO-Gruppe vier, jeweils eine in den Niederlanden, Deutschland, Großbritannien und den Vereinigten Staaten. Diese etwa 10 Anreicherungsanlagen decken den Großteil des Marktes ab. 

Aufgrund der Ereignisse in Fukushima stehen noch die meisten KKW in Japan still. Daher gibt es ein Überangebot an Anreicherungskapazität, sodass die Versorgung mit Anreicherungsdienstleistung bis weit in die Zukunft gewährleistet ist. Die früher genutzte Diffusionsmethode wird nicht mehr angewendet, da sie ungefähr fünfzig Mal so viel Energie wie das Zentrifugenverfahren benötigt. 

Das Laserverfahren ist in mehreren Ländern untersucht worden, hat jedoch nie die industrielle Reife erlangt. Gänzlich ohne Anreicherung kommen die so genannten CANDU-Reaktoren aus, die mit Natururan betrieben werden. Derzeit sind in etwa 30 CANDU-Reaktoren in Betrieb. Das Konzept wurde in Kanada entwickelt, in den vergangenen Jahrzehnten jedoch auch in Südkorea, China, Rumänien und Argentinien angewendet. In Argentinien laufen auch zwei Schwerwasser- Druckkesselreaktoren aus deutscher Fertigung, die mit Natururan betrieben werden können.

Mit Konversion bezeichnet man die chemische Umwandlung des aus den Lagerstätten gewonnenen Urans in UF6, das bei der Urananreicherung als Verfahrensmedium eingesetzt wird. Es werden derzeit mehrere industrielle Anlagen in den USA, Frankreich, Russland, Kanada und China betrieben, die die Urananreicherungsanlagen mit UF6 versorgen.

Neben dem Natururan gibt es auch sekundäre Quellen für Kernbrennstoff aus der Wiederaufarbeitung abgebrannter Brennelemente, aus der Konversion von Kernwaffen und militärischen Lagerbeständen sowie aus der Wiederanreicherung sogenannter Tails, also des abgereicherten Urans aus Anreicherungsanlagen. Welche Rolle spielen diese Quellen heute und welches Potential haben sie?

Die Wiederanreicherung von abgereichertem Uran, das noch einen erheblichen Anteil  U235 enthält, stellt eine wesentliche Quelle für Natururan dar. Daher ist abgereichertes Uran Wertstoff, da es Natururan substituiert, und stellt ein signifikantes Potential für sekundäre Uranquellen dar.

In der Vergangenheit ist in Einzelfällen hoch angereichertes Uran z.B. aus Russland in den USA durch Mischen mit abgereichertem Uran zu niedrig angereichertem Uran zur Verwendung in Kernkraftwerken genutzt worden (Megatons to Megawatts). Über weitere solche Vorgänge sind aber keine Prognosen möglich.

Der Einsatz von Uran aus der Wiederaufarbeitung abgebrannter Brennelemente als so genannte MOX-Brennelemente findet in geringem Maßstab statt. Die Herstellung solcher Brennelemente bedarf aber aufgrund der Strahlung des wiederaufgearbeiteten Urans besonderer Strahlenschutzvorkehrungen. 

Dr. Christian Raetzke

Dr. Christian Raetzke

März 2017

Dr. Christian Raetzke ist Rechtsanwalt. Seit 20 Jahren beschäftigt er sich hauptsächlich mit dem Atom- und Strahlenschutzrecht, sowohl in Deutschland als auch international. Er promovierte 2000 mit einem Thema aus dem Atomgesetz. Von 1999 bis 2011 arbeitete er für E.ON Kernkraft (jetzt PreussenElektra) in Hannover. Seit 2011 führt er seine eigene Kanzlei in Leipzig und berät Unternehmen der Kerntechnik, Institutionen und Behörden im In- und Ausland.

Dr. Raetzke ist Dozent und Beiratsmitglied der International School of Nuclear Law in Montpellier und hat mehrere Bücher und zahlreiche Aufsätze veröffentlicht. Er ist Vorsitzender der deutschen Landesgruppe der International Nuclear Law Association.

Mit den Römischen Verträgen von 1957 wurde neben der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft auch EURATOM begründet, die bis heute fortbesteht. Was ist EURATOM genau und welche Aufgaben werden hier erfüllt?

EURATOM ist die griffige Abkürzung für die Europäische Atomgemeinschaft. 1957 wurden zwei Römische Verträge geschlossen, die jeweils eine Gemeinschaft begründeten: die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und EURATOM, die sich beide an den Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) von 1951 anlehnten. Aus der EWG hat sich seither, u.a. durch die Verträge von Maastricht und Lissabon, die heutige EU entwickelt. Der EGKS-Vertrag war auf 50 Jahre befristet und ist 2002 ausgelaufen. Der EURATOM-Vertrag ist unbefristet und die Europäische Atomgemeinschaft besteht auch heute noch im Wesentlichen in der damaligen Form fort. Sie hat neben der EU eine eigene Rechtspersönlichkeit, ihre Organe sind aber mit denen der EU vereinigt (Rat, Kommission, Parlament, Gerichtshof).

Im EURATOM-Vertrag wird der Gemeinschaft eine Reihe von Aufgaben zugewiesen. Im Vordergrund stand damals der Aufbau einer europäischen Kernenergieindustrie. Dementsprechend gibt der Vertrag EURATOM Kompetenzen und Aufgaben etwa bei der Förderung von Forschung und Entwicklung, bei der Gründung von Unternehmen, bei der Steuerung von Investitionen und bei der Sicherstellung der Versorgung mit Kernmaterial durch die EURATOM-Versorgungsagentur.

Zugleich – und das ist der zweite wichtige Aspekt – erhielt EURATOM Kompetenzen, die die Sicherheit, den Strahlenschutz und den Schutz vor unerlaubter Verwendung spaltbaren Materials betreffen. Wie die EU auch, kann EURATOM im Rahmen der ihr übertragenen Befugnisse Rechtsnormen erlassen, die für die Mitgliedstaaten verbindlich sind und von deren Behörden umgesetzt werden müssen. Bei der Kernmaterialüberwachung hat EURATOM sogar direkte Inspektions- und Eingriffsrechte.

Ganz wichtig noch: EURATOM schreibt ihren Mitgliedern nicht vor, dass sie die Kernenergie nutzen müssen. In diesem Sinne sind die Förderkompetenzen eher ein „Angebot“ an die Mitgliedstaaten. Die Kontroll- und Sicherheitsvorschriften gelten aber für alle. Die kann man nicht „abwählen“.

Welche Vorteile bietet EURATOM für Deutschland und was haben wir noch davon, wenn die Kernkraftnutzung in der Stromerzeugung wie geplant beendet wird?

Man muß eingangs vielleicht klarstellen, dass EURATOM nicht nur „Vorteile“ im Sinne einer Dienstleistung anbietet, sondern – wie ich eben sagte – auch Anforderungen stellt, z. B. in Punkto Sicherheit und Strahlenschutz. Aber auch das ist ja letztlich ein Vorteil für die Bevölkerung. Insofern ist es richtig, von Vorteilen zu sprechen. Und in der Tat haben wir auch nach dem Abschalten der letzten deutschen Kernkraftwerke noch etwas von EURATOM.

Zunächst einmal wird es in Deutschland auch nach 2022 noch Anlagen geben, in denen mit Kernbrennstoffen umgegangen wird. Die abgebrannten Brennelemente bleiben unter der Kernmaterialüberwachung von EURATOM, und zwar selbst dann, wenn sie – was noch etliche Jahrzehnte dauern wird – aus der gegenwärtigen Zwischenlagerung endgültig ins Endlager verbracht worden sind. Standortsuche, Errichtung und Betrieb von Endlagern werden übrigens auch zunehmend von EURATOM-Sicherheitsvorschriften umfaßt. Die in den letzten Jahren vorgenommene Neuorganisation bei den Verantwortlichkeiten für die Bundesendlager in Deutschland war unter anderem durch eine EURATOM-Richtlinie veranlasst.

Dann ist wichtig, dass die EURATOM-Vorschriften nicht nur für die Kernenergie und die Beseitigung ihrer Abfälle gelten, sondern für den Strahlenschutz allgemein. Das betrifft z. B. den betrieblichen Arbeitsschutz, wenn es – wie in vielen Branchen, die mit Kernenergie gar nichts zu tun haben – um Strahlung geht, etwa bei Prüfstrahlern. Im Bereich der Medizin, bei der Strahlendiagnostik und -therapie, sind EURATOM-Vorschriften für medizinisches Personal und für Patienten von Bedeutung. EURATOM regelt sogar den Umgang mit natürlicher Strahlung, wie sie z. B. durch das Edelgas Radon in Häusern auftritt.

Und schließlich: selbst die Vorschriften zur Kernenergie bleiben für Deutschland wichtig – in dem Sinne, dass EURATOM-Vorschriften ein einheitliches hohes Sicherheitsniveau in Europa gewährleisten, das eben auch für Anlagen in benachbarten Ländern gilt. Dieser Aspekt des EURATOM-Regimes wird – bei aller verbalen Kritik an EURATOM – letztlich auch von Staaten wie Österreich und Luxemburg als Instrument geschätzt, die die Kernenergie nicht genutzt haben und ihr seit langem ablehnend gegenüberstehen.

Fazit: Seit 1957 hat sich einiges geändert. Die Kernenergienutzung ist innerhalb der EU und EURATOMs umstritten. EURATOM zwingt aber niemanden zur Kernenergie. Diejenigen Staaten, die die Kernenergie weiterhin befürworten und nutzen, profitieren von Elementen des EURATOM-Regimes wie der Sicherung der einheitlichen Versorgung. Alle Mitgliedstaaten gemeinsam sind jedoch den Vorschriften zu Sicherheit, Kernmaterialüberwachung und Strahlenschutz unterworfen, durchaus auch im Sinne einer wechselseitigen Verpflichtung. Insofern kann man sagen: der EURATOM-Vertrag füllt auch nach 60 Jahren und unter geänderten Randbedingungen die ihm zugedachte bedeutende Rolle aus.

Mika Pohjonen

Mika Pohjonen

Mika Pohjonen is Managing Director of Posiva Solutions Oy, an engineering service provider for spent fuel management and disposal founded in June 2016 as daughter of Posiva. Mr. Pohjonen has over 25 years of international experience in the energy sector and has held various positions in the engineering and management consulting business, e.g. at Fortum Oyj and Pöyry. Mr. Pohjonen has broad expertise in the nuclear energy business acquired in Finland and many other European countries that utilize nuclear energy, as well as in the Middle East. He has worked as an invited expert for the International Atomic Energy Agency (IAEA) on several occasions.

Finland and of course POSIVA were very successful in the process of site selection for a HAW-repository and you have obtained the construction licence for such a repository in November 2015, the first in the world. Can you shortly describe the process and point to the main reasons for success in your opinion?

Preparations for the final disposal of spent nuclear fuel in Finland began at the same time as the commissioning of the first nuclear power plants in the late 1970s. The schedule for the final disposal was set in 1983, when the Government decided on the objectives and programme for nuclear waste management.

1978Geological screening for final disposal starts
1983Government decision on overall schedule
1984 – 1999Site characterization and selection process
2001Decision in principle by the Government and the Parliament: Olkiluoto selected and approved as the final disposal site
2004Construction of ONKALO research tunnel and site confirmation studies starts in Olkiluoto
2012Construction license application
2015Construction license granted
by 2025operation license expected to be granted and start of industrial final disposal

The success of implementation was based on some key factors. Very important was transparency and comprehensive interaction with stakeholders with the Environmental Impact Assessment (EIA) as a structure and guide for public involvement and participation since 1994; however, the interaction was not limited to the EIA process, but has continued actively on different levels, for different stakeholder needs until today and is continuing. Another major point is stakeholders‘ trust in STUK as a regulatory body and STUK’s strong independent approach. Noticing that Posiva openly respects and obeys STUKs guidance has also promoted trust in Posiva. Nuclear facilities on the same site have served well, being top units in the world and creating trust in the region. People have become accustomed to nuclear facilities and benefited from them. Also final disposal offers long term employment opportunities. The employees of the power plants have acted as advocates for nuclear, being committed to the industry and trusting it. To read more about Posiva you can visit www.posiva.fi/en.

One striking difference between Germany and Finland when looking at the respective history of repository site selection is the lack of trust of parts of the German public in the operator and regulator as well as in science. What would be your advice on confidence building for the operator and the regulator of the site selection process, but also with regard to the scientific community dealing with the topic?

In my opinion, unfortunately there is no shortcut. The issue is complicated not only from social, technical, environmental and communicational points of view, but also ethically. Interaction with stakeholders has to be implemented differently for each stakeholder, it has to evolve over time and it has to be continuous, not related to confined processes like EIA etc. The scientific community specifically, but regulator and operator as well face the big challenge of communicating understandably. They need to take into account that stakeholders have the right to communicate and discuss the issue in a meaningful way from their own starting point and on their own level, not on a level chosen by nuclear professionals. One cannot expect them to educate themselves into experts, either.

Local acceptance plays a key role when selecting the site for spent fuel disposal. A long time is needed for acceptance and it is helpful if the municipality in question has already nuclear facilities. Locally in nuclear municipalities people are much better informed about nuclear issues than at national level – communication has been ongoing since the power plants were commissioned.

In Germany there are three different types of potential host rock for a HAW-repository available. In your opinion, is this an asset for the site selection process that will make it easier to be successful or might this feed controversy in the process and between possibly suitable regions?

Globally, solutions for the disposal of spent nuclear fuel are developed in different geologies. Assuming these solutions are proven to be safe, why not to include different geologies – and methodologies – to find the most suitable solution for Germany. Posiva can of course offer its expertise to be used in this process, if needed.

Dr. Thomas Ernst

Dr. Thomas Ernst

Oktober 2016

Dr. Thomas Ernst ist seit 2006 Vorsitzender der Geschäftsleitung der Nationalen Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle (NAGRA), die das Schweizer Auswahlverfahren für Endlager für radioaktive Abfallstoffe durchführt. Zuvor war der promovierte Chemiker in leitenden Funktionen bei der Eberhard Recycling AG und der Hydrotest AG, einem Unternehmen für Umwelttechnik und Sonderabfallentsorgung tätig.

Die Schweiz befindet sich mitten in einem Standortwahlverfahren für ein geologisches Tiefenlager – in Deutschland würde man Endlager sagen – für hochradioaktive Abfälle. Die gesetzlichen Grundlagen für das so genannte Sachplanverfahren[1] wurden 2008 geschaffen. Wie weit sind Sie bisher im Verfahren?

Der Sachplan geologische Tiefenlager ist ein dreistufiges Verfahren, das von der Schweizer Regierung 2008 in Kraft gesetzt wurde. Es definiert klare Rahmenbedingungen zur Wahl der Standorte für den Bau von Tiefenlagern. Das Bundesamt für Energie (BFE) leitet das Verfahren, spezifiziert die Rollenteilung und koordiniert die Zusammenarbeit der verschiedenen Akteure. Sicherheit hat dabei erste Priorität. 

Momentan befindet sich das Sachplanverfahren in der zweiten Hälfte von Etappe 2. In der ersten Etappe wurden ausgehend vom Gebiet der ganzen Schweiz sechs geeignete geologische Standortgebiete ermittelt. In der zweiten Etappe wurden Standorte für die Anordnung der Oberflächeninfrastruktur in einem partizipativen Prozess erarbeitet. Anfang 2015 hat die Nagra die Ergebnisse ihres sicherheitstechnischen Vergleichs der Standortgebiete veröffentlicht und zwei davon für die weiteren Arbeiten vorgeschlagen. Dieser Vorschlag befindet sich gegenwärtig in der Behördenprüfung und geht danach in eine Anhörung, bevor die Regierung darüber entscheidet. Ausserdem wurden in den vorgeschlagenen Gebieten bereits 3D-seismische Messungen[2] durchgeführt und die Nagra hat kürzlich zahlreiche Gesuche für Tiefbohrungen eingereicht. Die Ergebnisse der 3D-Seismik und der Tiefbohrungen liefern wichtige Daten für das kommende Bewilligungsverfahren (= Genehmigungsverfahren). Etwa 2022 wird die Nagra bekannt geben, wo sie Rahmenbewilligungsgesuche für ein Lager für hochaktive Abfälle und für ein Lager für schwach- und mittelaktive Abfälle ausarbeiten wird. Bundesrat und Parlament werden Ende der 20er Jahre über die Rahmenbewilligungen entscheiden. Das Stimmvolk kann daraufhin das Referendum ergreifen. 

Eine frühzeitige Bürgerbeteiligung hat im Sachplanverfahren einen grossen Stellenwert, auch als Lehre aus der Erfahrung des abgelehnten Tiefenlagerprojektes Wellenberg für schwach-und mittelaktive Abfälle. Welche Erfahrung hat man mit der Bürgerbeteiligung bisher gemacht, haben die Bürger diese Möglichkeit angenommen?

In allen potenziellen Standortregionen wurden sogenannte Regionalkonferenzen gegründet. Diese setzen sich zusammen aus Delegierten aus Politik, Wirtschaft, Gewerbe und Interessenorganisationen sowie Bürgerinnen und Bürgern und vertreten die Interessen, Bedürfnisse und Werte der jeweiligen Standortregion im Sachplanverfahren. Es darf gesagt werden, dass dieses Verfahren durch die Einbeziehung aller Akteure erfolgreich ist, auch wenn es nicht kritikfrei verläuft.

Die regionale Partizipation bezeichnet ein Instrument der Mitwirkung – im Sinne von Einbeziehung und Mitsprache. Die Entscheidungsgewalt liegt jedoch zuletzt beim Bund. Einige Kritiker sind der Meinung, dass die Mitsprache zu eingeschränkt sei, da ein lokales Vetorecht fehle. Dies darf es aber bei einem Infrastrukturprojekt von nationaler Bedeutung nicht geben. Das Primat der Sicherheit kann bei einem lokalen Veto nicht mehr garantiert werden. Das Gros der Mitwirkenden im Sachplanverfahren schätzt die Partizipation aber sehr und engagiert sich, um die Entsorgung im Interesse des ganzen Landes bestmöglich zu lösen. 

Im Sachplanverfahren ist für die Standortwahl keine bergmännische untertägige Untersuchung vorgesehen, wie man sie vom Standort Gorleben in Deutschland kennt, sondern übertägige geowissenschaftliche Methoden wie seismische und andere geophysiche Aufnahmen oder Bohrungen. Könnte dieses Vorgehen aus Ihrer Sicht auch für Deutschland eine Option sein? 

Die Schweiz verfügt bereits über zwei bergmännische untertägige Forschungslabors, in denen Untersuchungen auch im Maßstab 1:1 durchgeführt werden können. Die übertägigen, geowissenschaftlichen Untersuchungsmethoden, die wir in der Schweiz anwenden, liefern die erforderlichen standortspezifischen Informationen. Die oberste Devise in der Schweizer Vorgehensweise lautete seit jeher Sicherheit. Und Sicherheit kann mit unserer Vorgehensweise gewährleistet werden. 

Wir sehen einen Vorteil der übertägigen Untersuchungsmethoden darin, dass das darunterliegende Gestein nicht beeinträchtigt wird. Ziel unserer Vorgehensweise ist explizit, das Wirtgestein, speziell den Einlagerungsbereich untertage, so wenig wie möglich zu schädigen.

Nach der Erteilung der Rahmenbewilligung werden auch in der Schweiz untertägige bergmännische erdwissenschaftliche Untersuchungen vor Ort durchgeführt. In den sogenannten Testbereichen sind die sicherheitsrelevanten Eigenschaften des Wirtgesteins zur Erhärtung des Sicherheitsnachweises standortspezifisch zu bestätigen, bevor eine Betriebsbewilligung erteilt wird. 

Diese Kombination von Forschungslabors, standortspezifischen geowissenschaftlichen Untersuchungen und der Verifikation der sicherheitsrelevanten Eigenschaften am gewählten Standort ist ein pragmatischer Weg, für den sich der Schweizer Gesetzgeber entschieden hat. 


[1] vergleichbar einer besonderen/sektoralen Raumordnungsplanung

[2] Verfahren zur dreidimensionalen Erkundung des geologischen Untergrunds von Übertage mit Hilfe von Schallwellen/Vibrationen bzw. punktuellen Sprengungen, deren akustische Signale von Geophonen registriert werden.

Wolfgang Däuwel

Wolfgang Däuwel

Juni 2016

Wolfgang Däuwel ist Physiker und seit 1990 für AREVA beziehungsweise die Vorgängerunternehmen Siemens und KWU tätig. Er arbeitete unter anderem an regelmäßigen Sicherheitsüberprüfungen von Kernkraftwerken mit und entwickelte die werkstoffwissenschaftlichen Labore auf dem Forschungsgelände in Erlangen weiter. Seit 2011 leitet er alle technischen Prüfeinrichtungen und Teststände, das sogenannte „Technical Center“, von AREVA weltweit. Darüber hinaus ist Däuwel seit 2013 Standort- und Betriebsleiter des AREVA-Standorts Erlangen.

Als Konsequenz aus dem Unfall von Fukushima wurden in vielen Ländern kerntechnische Sicherheitsstandards erhöht und internationale Standards verschärft. Auch die Nukleare Sicherheitskonvention soll ergänzt werden. Worum geht es dabei und welche Konsequenzen hat das konkret für die technischen Sicherheitsanforderungen an bestehende und neu zu errichtende Kernkraftwerke? 

Die Branche hat weltweit Lehren aus Fukushima gezogen. Unter anderem ist danach der Begriff der Robustheit intensiver diskutiert worden. Hier geht es, vereinfacht gesagt, um zusätzliche Sicherheitsmargen, wenn Ereignisse über die Auslegung einer Anlage hinausgehen. Dabei liegt das Augenmerk auf zusätzlichen technischen Komponenten in den Anlagen, auf mobilen Geräten etwa für die Kühlung, aber auch auf der Weiterentwicklung von Handlungsanweisungen und Notfallplänen für solche Situationen. All diese Handlungsfelder sind eine sinnvolle Ergänzung, aber keineswegs ein Ersatz für die klassische kerntechnische Sicherheitsphilosophie, solche Ereignisse von vornherein im Rahmen einer richtigen Auslegung und eines sicheren Betriebs auszuschließen.

Weltweit haben die entsprechenden Untersuchungen und Analysen dazu geführt, die bestehenden Kernkraftwerke nachzurüsten. Auch die laufenden Neubauprojekte wurden nach Fukushima erneut analysiert. Hier gab es aber praktisch keinen Anpassungsbedarf, da insbesondere die Generation-III-Kernkraftwerke wie der EPR von AREVA bereits ein sehr hohes Sicherheitsniveau aufwiesen.

Wo steht Deutschland dabei, wie ist der Sicherheitsstandard deutscher Anlagen und was hat die kerntechnische Industrie in Deutschland zu bieten? Ist unser Know-how relevant für die internationale nukleare Sicherheit?

In Deutschland gab es eine umfangreiche Untersuchung der Reaktorsicherheitskommission, die eindeutig festgestellt hat, dass die deutschen Anlagen ein hohes Maß an Sicherheitsreserven aufweisen – auch die 2011 bereits abgeschalteten. Darüber hinaus hat die Europäische Union im Rahmen ihres sogenannten Stresstests alle europäischen Kernkraftwerke untersucht. Auch in dieser Bewertung haben die deutschen Kernkraftwerke durchweg gute, weit überdurchschnittliche Ergebnisse erzielt. 

Das hat nach meiner Einschätzung auch damit zu tun, dass es in Deutschland immer eine besonders kritische Auseinandersetzung mit dem Thema Kernkraft gegeben hat. Nach 2011 konnten wir bei AREVA viele Sicherheitsnachrüstungen exportieren, die in Deutschland bereits vor Fukushima entwickelt und installiert wurden und so einen Beitrag leisten, Kernkraftwerke weltweit sicherer zu machen. Als Beispiel möchte ich unsere Filtersysteme für das Containment nennen, das wir seitdem in mehr als 50 Reaktoren weltweit nachgerüstet haben, nachdem es in Deutschland bereits lange vor 2011 Standard war. Ähnliches gilt für die Rekombinatoren. Das sind Komponenten, die Wasserstoffexplosionen im Containment verhindern. Hier haben wir etwa 100 Projekte umgesetzt.

International gelten 60 Jahre als Zielwert für die Laufzeit von Leichtwasserreaktoren als Stand der Technik. In Deutschland werden nach 33 Jahren Betrieb die letzten Anlagen im Jahr 2022 abgeschaltet. Lässt sich die kerntechnische Kompetenz in Deutschland dennoch langfristig erhalten, für nationale und internationale Aufgaben in den Bereichen Sicherheit und Entsorgung?

Weltweit geht der Trend in Richtung Laufzeitverlängerung. Das ist richtig. In den USA werden inzwischen sogar 80 Jahre diskutiert. Wenn Kernkraftwerke früher vom Netz gehen, wie beispielsweise in Schweden, dann geschieht das allein aus wirtschaftlichen Gründen. Der deutsche Ausstieg wegen Sicherheitsbedenken in der Politik trotz vorliegender positiver Bewertungen durch die Reaktorsicherheitskommission und die EU ist weltweit einmalig.

Diese Situation bedeutet natürlich für die deutsche Branche und im Hinblick auf den Kompetenzerhalt insgesamt eine besondere Herausforderung. Ein langfristiger Kompetenzerhalt über den Ausstieg hinaus braucht nach meiner Überzeugung zwei Standbeine: eine starke Ausbildungs- und Forschungslandschaft sowie innovative und erfolgreiche Unternehmen. Diese Unternehmen müssen wirtschaftlich funktionieren, um die Kompetenzen in der Praxis einsetzen und weiterentwickeln zu können. Das können deutsche Hersteller und Zulieferer zukünftig nur im Export. 

Auch ein weiterer Aspekt sollte meiner Meinung nach in der Diskussion verstärkt Berücksichtigung finden: Wir brauchen in Deutschland auch nach dem Ausstieg eine anerkannte kerntechnische Industrie und das entsprechende Know-how, wenn wir uns weiterhin in den internationalen Gremien glaubwürdig an Diskussionen beispielsweise über Sicherheitsstandards von Kernkraftwerken beteiligen wollen.

Prof. Dr.-Ing. habil U. Hampel

Prof. Dr.-Ing. habil U. Hampel

Prof. Dr.-Ing. habil. Uwe Hampel ist Inhaber der AREVA-Stiftungsprofessur für bildgebende Messverfahren an der Technischen Universität Dresden und Leiter der Abteilung Experimentelle Thermofluiddynamik am Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf. Er ist unter anderem auch stellvertretender Sprecher des Kompetenzverbunds Kerntechnik sowie Mitglied im Governing Board der Sustainable Nuclear Energy Technology Platform (SNETP).

Deutschland wird bis 2022 aus der Kernenergie aussteigen, die derzeit ein wesentlicher Treiber für Forschung und Lehre in der Kerntechnik ist, gerade in der Reaktorsicherheitsforschung. Wohin wird nach Ihrer Meinung und der Ihrer Kollegen die Entwicklung an deutschen Universitäten und Forschungseinrichtungen in Ihrem Fach gehen? 

Die kerntechnische Ausbildung und nukleare Sicherheitsforschung an deutschen Hochschulen und Forschungseinrichtung ist exzellent und genießt nach wie vor eine außerordentlich hohe internationale Anerkennung. Dies ist keine Phrase. Erhebungen des Kompetenzverbunds Kerntechnik belegen, dass über 1700 Studierende in Deutschland heute kerntechnische Lehrangebote an den Hochschulen nutzen. Der in der Helmholtz-Gemeinschaft institutionalisierten nuklearen Sicherheitsforschung wurden in der jüngsten Evaluierung von einem internationalen Expertengremium Bestnoten bescheinigt. Die hohe Beteiligung deutscher Forschungseinrichtungen an internationalen Projekten der EU, OECD und IAEA sind ein weiterer Beleg dafür. Natürlich stellt sich für all diejenigen, die sich auf diesem Gebiet fachlich engagieren, die Frage, wie es nach der Außerbetriebnahme des letzten Kernkraftwerks in Deutschland im Jahr 2022 mit kerntechnischer Ausbildung und nuklearer Sicherheitsforschung weitergeht. Dies wird aus meiner Sicht ganz entscheidend davon abhängen, welche gesellschaftliche und politische Unterstützung das Thema der nuklearen Sicherheitsforschung zukünftig in Deutschland im Zentrum eines Europas mit dann etwa 190 in Betrieb befindlichen Kernreaktoren hat. 

Sicher ist, dass die Bundesrepublik Deutschland umfassend und langfristig Expertise im Bereich der Entsorgungs- und Endlagerforschung benötigt. Ebenso besteht im Bereich des Rückbaus von Kernkraftwerken einiger Bedarf an der Entwicklung effizienter Technologien, zum Beispiel zur Dekontamination. Spannend ist die Frage vor allem im Bereich der Reaktorsicherheit nach 2022. Neben dem Betrieb weniger nuklearer Forschungsanlagen ist die Sicherheitsbewertung von Anlagen in angrenzenden Ländern ein wichtiges Thema. Fünf direkte Nachbarländer Deutschlands produzieren Strom aus Kernenergie, ein sechstes Land, Polen, hat den Einstieg in die nukleare Stromerzeugung beschlossen. Die Tschechische Republik wird ihre nuklearen Erzeugungskapazitäten ausbauen. Fast alle bestehenden Anlagen werden eine Laufzeitverlängerung erfahren. In Frankreich und Finnland werden neue Kernreaktortypen mit verbesserten Sicherheitseigenschaften gebaut. Einige unserer Nachbarländer werden möglicherweise zukünftig Demonstratoren für Reaktoren der Generation IV betreiben. Daher braucht Deutschland weiterhin eine Basiskompetenz zur Bewertung dieser Entwicklungen sowie zur Mitarbeit in internationalen Gremien. Ich glaube, dass der Politik dies sehr bewusst ist und so finden sich ja auch entsprechende Aussagen zum zukünftigen Bedarf an kerntechnischer Kompetenz etwa im 6. Energieforschungs-programm der Bundesregierung. 

Viele der o.g. Aufgaben zur Sicherheitsbewertung eigener und ausländischer Anlagen werden heute in Deutschland von der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit GRS wahrgenommen. Die Weiterentwicklung des Standes von Wissenschaft und Technik in der nuklearen Sicherheitsforschung wird dabei maßgeblich durch die Forschung in der Helmholtz-Gemeinschaft und an den Hochschulen gewährleistet. Hier findet Grundlagen- und angewandte Forschung auf höchstem Niveau statt. Hier werden modernste Rechenprogramme für die Erforschung des Verhaltens nuklearer Materialien und für Störfallsimulationen entwickelt und validiert, hier erfolgt Materialforschung in modernsten Laboren und es werden Experimente, etwa zur Thermohydraulik und zum Materialverhalten, an weltweit einzigartigen Versuchsanlagen durchgeführt. Die Basisausbildung unserer Forscher erfolgt wiederum durch die kerntechnischen Curricula unserer Hochschulen, die Teil einer vertieften Ausbildung zum Energietechnik-, Verfahrenstechnik- oder Automatisierungstechnik-Ingenieur oder zum Physiker sind. Wird diese Kette an einer Stelle geschwächt, wirkt sich dies unweigerlich auf Qualität und internationale Reputation deutscher Sachverständigenkraft aus. Ich bin daher zuversichtlich, dass ein Land wie Deutschland weiterhin auf die international anerkannten Fähigkeiten seiner Expertinnen und Experten zur Bewertung der nuklearen Sicherheit in allen Teilgebieten setzen wird. Dies erfordert eine weitere aktive Förderung eigener Forschung und der Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses seitens der verantwortlichen Ministerien, sei es durch Förderprogramme zum Kompetenzerhalt und zur Nachwuchsförderung, der Unterstützung der Beteiligung an internationalen Vorhaben, der Erhaltung von Kompetenzen im Lehrbetrieb aber auch durch öffentliche Wertschätzung der geleisteten Arbeit. Ein aus meiner Sicht sehr wichtiger Punkt ist dabei die langfristige Absicherung einer kerntechnischen Basisausbildung an deutschen Hochschulen, die auf absehbare Zeit zum Studium der Energietechnik gehören muss. 

Wie steht es um die Förderung? Sind hier aus Ihrer Sicht die zukünftigen Aufgaben abgesichert, oder gibt es besonderen Handlungsbedarf, allgemein oder bei einzelnen Forschungsfeldern? 

Bei der Forschungsförderung muss man zunächst zwischen der institutionellen Förderung der Helmholtz-Zentren und der projektorientierten Förderung unterscheiden. Erstere erfolgt auf Basis mehrjähriger Forschungsprogramme, die sich in einem Evaluierungsverfahren kompetitiv um Programmbudgets bewerben. Aus diesen Mitteln werden Mitarbeiterstellen und Infrastrukturen finanziert. Zur Verdeutlichung: bezogen auf das Personal sind dies in der Helmholtz-Gemeinschaft ca. 160 Mitarbeiterstellen im Bereich Entsorgungsforschung und 80 Mitarbeiterstellen im Bereich Reaktorsicherheitsforschung, wobei dies Stellen von Wissenschaftlern und wissenschaftsunterstützendem Personal sind. Diese Zahlen sind dem Forschungsbedarf und Kompetenzerhalt durchaus noch angemessene Werte, allerdings auch ohne „Spielraum nach unten“, wenn eine ausreichende Abdeckung der wesentlichen Forschungsthemen gewährleistet werden soll. 

Drittmittel sind vor allem an den Hochschulen oft die einzige Möglichkeit, Expertenwissen und Versuchsstände zu erhalten. Im Bereich der projektbezogenen Förderung erhalten die Forschungseinrichtungen insbesondere zusätzliche Gelder von den drei Ministerien BMU, BMBF und BMWi, aber auch aus anderen Quellen, wie EU-Programmen oder der Industrie. Hervorzuheben ist die Reaktorsicherheitsforschung des BMWi, von der neben der GRS besonders die Hochschulen profitieren, sowie die Initiative zum Kompetenzerhalt in der Kerntechnik des BMBF für die Themen Nukleare Sicherheitsforschung, Entsorgungsforschung und Strahlenforschung. Diese Mittel leisten derzeit einen sehr wichtigen Beitrag zur Aufrechterhaltung der Kompetenz in Lehre und Forschung, was von meinen Fachkolleginnen und -kollegen durchgängig als besonders positiv gesehen wird, auch in Bezug auf die Wertschätzung der so geleisteten Vorsorgeforschung. Auf der anderen Seite ist die bis vor kurzem noch intensive direkte Projektförderung aus der Wirtschaft durch Kraftwerksbetreiber und Anlagenhersteller bereits heute aus erklärlichen Gründen drastisch zurückgegangen. Dieser Rückgang kann kaum durch andere Drittmittel ausgeglichen werden. 

So sind beispielsweise Antragsverfahren für EU-Projekte aufwendig und hoch kompetitiv. Mehr noch, über den Erfolg von EU-Projektanträgen entscheiden neben der Reputation der Antragsteller auch deren Möglichkeiten, sogenannte in-kind contributions, wie Versuchsanlagen und Personal, mit in die Vorhaben einzubringen. Daher ist auch hier ohne nationale Koförderung auf Dauer keine nachhaltige Entwicklung möglich. In anderen Forschungsförderungsprogrammen, etwa der Bundesländer, der Deutschen Forschungsgemeinschaft oder EU-Nachwuchsförderung (Marie-Curie Aktionen) sind Themen der nuklearen Sicherheitsforschung aus verschiedenen Gründen nicht förderbar. 

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass für die zukünftige Absicherung des Kompetenzerhalts in Lehre und Forschung maßgeblich die Förderstellen der Bundesregierung ihren Beitrag durch entsprechende Förderprogramme in ausreichendem Maße leisten müssen. 

Kann ein höherer Anteil ausländischer Studierender und eine noch stärkere internationale Vernetzung bei Forschungskooperation und der Diversifizierung von Auftraggebern einen Beitrag zur Vielfalt der kerntechnischen Forschungslandschaft in Deutschland leisten? 

Ich sehe diese Möglichkeit durchaus, allerdings darf man das Potenzial auch nicht überschätzen. Die nukleare Sicherheitsforschung war und ist schon immer stark international ausgerichtet, was an der großen Zahl internationaler Gremien, Organisationen sowie internationaler Gemeinschaftsprojekte und Studiengänge ablesbar ist. Auch heute ist ein großer Teil unserer Studierenden der Kerntechnik aus dem Ausland, da Deutschland hier immer noch einen sehr guten Ruf genießt. Ich sehe insbesondere die Notwendigkeit, zukünftig öffentlich geförderte Forschung, etwa im Rahmen der BMWi- und BMBF-Programme, noch stärker an internationale Vernetzung und Kooperation zu koppeln, da in Zukunft besonders die Fragestellungen der Reaktorsicherheit im Wesentlichen ausländische Anlagen und internationale Aktivitäten betreffen werden. Darüber hinaus gilt, wie in jedem Bereich der Forschung, das Kompetitivitätsprinzip. Wer die besten Referenzen, Experten und Infrastrukturen sowie ein gutes Arbeitsumfeld hat, wird bei der Vergabe von Geldern und der Gewinnung der besten Köpfe das Rennen machen. Eine ausländische Behörde, ein ausländischer Betreiber oder ein ausländischer Kraftwerkshersteller werden gern Aufträge an eine deutsche Forschungsstelle geben, wenn diese international führend ist. 

Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, um kerntechnische Forschung in Deutschland international mit Erfolg zu „verkaufen“, was sind die besonderen Stärken mit denen sich wuchern lässt, wenn es um Forschungsaufträge und die Bewerbung für Projekte geht? 

Zunächst sollte in Wissenschaft, Wirtschaft und Politik auch nach dem Ausstieg aus der Stromerzeugung aus Kernenergie nicht vergessen werden, dass Deutschland durch exzellente Wissenschaft, Ingenieurskunst, verantwortungsvolle Gesetzgebung und effiziente Verwaltungsstrukturen eine außerordentlich hohe Sicherheitskultur entwickelt und in fast sechzig Jahren Kernkraftwerksbetrieb auch gelebt hat. Dafür ist Deutschland auf diesem Gebiet heute international hoch anerkannt. Zweitens ist es in einem kompetitiven Umfeld erforderlich, über Alleinstellungsmerkmale zu verfügen. Für die Forschung sind dies etwa erstklassige Versuchsanlagen und Labore mit innovativen Messtechniken sowie fortgeschrittene und umfassend validierte Rechenprogramme für verschiedene Teilgebiete der nuklearen Sicherheitsforschung. Ohne derartige Infrastrukturen und Werkzeuge mit Alleinstellungsmerkmal verliert man schnell international den Anschluss. Drittens müssen deutsche Forscher ihre Netzwerke aufrechterhalten. Dies bedeutet Förderung von Personal und Infrastruktur für eigene Forschungsarbeiten aber auch die Gewährleistung der Teilhabe an internationalen Entwicklungen und die Mitarbeit in Expertengremien, wofür Deutschland auch weiterhin über Experten verfügen muss. Schlussendlich lebt besonders die Ausbildung junger Ingenieure und Wissenschaftler von guten Personalstrukturen an den Hochschulen, zu der international anerkannte Lehrstuhlleiter/innen und junge, talentierte und engagierte Fachgruppenleiter/innen mit einer langfristigen Beschäftigungsperspektive in Deutschland gleichermaßen gehören.

Dr. Gerd Eisenbeiß

Dr. Gerd Eisenbeiß

September 2015
Dr.-Ing. Gerd Eisenbeiß, geboren 1942, ist Physiker und war als Wissenschaftler am Kernforschungszentrum Karlsruhe tätig. Ab 1973 war er als Referent im Bundeskanzleramt und im Forschungsministerium beschäftigt, 1977-1979 im Leitungsstab des Ministeriums als Referatsleiter für Kabinett- und Parlamentsangelegenheiten. Er war 1990 bis 2001 Programmdirektor für Energie- und Verkehrsforschung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt sowie 2001 bis 2006 Vorstand für Energie- und Materialforschung im Forschungszentrum Jülich. Seit seiner Pensionierung 2006 ist er mit Beratungen, Vorträgen und privaten Arbeiten zu verschiedenen Themen beschäftigt. Publikationen von Dr. Eisenbeiß finden sich auf www.politikessays.de.

Fehlende Akzeptanz in der Öffentlichkeit ist letztlich der Grund für das absehbare Ende der Kernenergie in Deutschland. Zur geringen Akzeptanz auf nationaler Ebene haben politische Entscheidungen maßgeblich beigetragen. Heute geraten Energietechniken der Energiewende wie Windkraft und HGÜ-Leitungen verstärkt in Akzeptanznot. Haben Politiker in Bund und Ländern noch die Kraft dem entgegen zu treten und ggf. ein Projekt auch gegen größere Zweifel und Unwillen durchzusetzen?

Nach meiner Beobachtung als Designer und Leiter des „Bürgerdialogs Kernenergie“ 1975 bis 1978 ging die Akzeptanz für Kernenergie in einer asymmetrischen öffentlichen Debatte verloren. Zweifel zu wecken und vor Katastrophen zu warnen, gegen „Atomstaat“ oder „Plutonium-Ökonomie“ zu mobilisieren, war einfach leichter, als solche Behauptungen mit 1000-seitigen Risikoanalysen zu widerlegen. 

Eine seriöse Argumentation konnte nicht einfach sagen, „Kernenergie ist sicher!“, sondern musste differenziert tatsächliche Risiken einräumen und mit Eintritts-Wahrscheinlichkeiten argumentieren. Wer aus der Psychologie weiß (z.B. vom Nobelpreisträger Daniel Kahneman), dass wir Menschen keinen unmittelbaren Verständniszugang zu Wahrscheinlichkeiten haben, der wird sich über den Misserfolg der „Aufklärungs-Kampagnen“ nicht mehr wundern. Politische Entscheidungen haben in diesem Zusammenhang keine wesentliche Rolle gespielt. Die klare Pro-Haltung wie die von Helmut Schmidt wurde in den eigenen Reihen konterkariert, weil in der SPD früh gespürt wurde, dass die aufkommenden Grünen die Machtoptionen ändern würden, wenn man sie nicht einfängt. Das hängt wiederum mit dem Verhältniswahlrecht zusammen, das den Grünen in Deutschland mehr Einfluss sicherte als in Frankreich oder Großbritannien. Bei diesen beiden Staaten ist auch der Kernwaffenstatus nicht zu vergessen. 

In Konflikten wie dem um die Kernenergie kommt es auch immer darauf an, wer die Begründungspflicht hat: theoretisch eine Konsequenz des Verursacherprinzips. In realen Gesellschaften muss aber nichts begründet werden, was allgemeiner Konsens ist, sei es falsch oder richtig. Dieser allgemeine Konsens bestand im Hinblick auf die Kernenergie bis vor 40 Jahren fast überall: für Willy Brandt war Kernenergie ein Teil des großen Reformprogramms, eine Hoffnung. Als 1973 ein einziger SPD-Abgeordneter das 4. Atomprogramm ablehnte, galt er als Sonderling.

Spätere Bundesregierungen haben im Kampf um die öffentliche Meinung und grüne Wähler auch harmlose Vorkommnisse wie etwa eine geringfügige Kontamination an Castor-Behältern (so etwa die damalige Umweltministerin Angela Merkel) als schlimme Gefahren dargestellt und damit entsprechende Unterstellungen von Atomgegnern scheinbar bestätigt. Damit wurden Nuklear-Transporte dämonisiert, ein Teil des Nuklearsystems mit geringstem Gefahrenpotential.

Geprägt wurde die deutsche Entwicklung durch das historische Schuldbewusstsein meiner Generation vor 50 Jahren. Wir hatten uns vorgenommen, als Deutsche an nichts mehr schuldig zu werden. Der neue Wohlstand erlaubte, wirtschaftliche Vorteile ethischen Bedenken unterzuordnen – ein Wertewandel, der bis heute weiter fortgeschritten ist. 

Heute wiederholt sich das Schema „Asymmetrie“ gegen Windenergieanlagen oder Stromleitungen (Ärzte beschwören Gesundheits-Gefahren z.B. durch Infraschall, Horst Seehofer bekämpft „Monstertrassen“). Dass die Lösung dann immer wieder darin besteht, Kosten zu erhöhen, wird ruhig hingenommen. So bleibt einzig unangefochten die unpraktischste Stromquelle, die Photovoltaik, die weder abends und nachts noch beim energieintensiven Winterverbrauch hilfreich ist, sondern teure externe Unterstützung durch Parallel-Kraftwerke oder Speicher braucht.

Vor dem Hintergrund des beständigen Werbens um Zustimmung und Wählergunst fehlt den Politikern vielleicht nicht die Kraft, sondern überhaupt der Wille, sich gegen medien-verstärkte lautstarke Proteste durchzusetzen. 

Bemerkenswert am Fall der Kernenergie in Deutschland ist, dass die Kernkraftwerke und andere Einrichtungen der Kerntechnik häufig lokal und auch regional akzeptiert und unterstützt werden, aber national, also eher abstrakt abgelehnt werden. Warum wurde dem in der Diskussion über die Kernenergie seitens der über die Meinung der Bürger besorgten Politiker kaum Rechnung getragen?

Politikern in einer Demokratie geht es um Macht und Mehrheit. Da zählen die stillen Dörfer rund um eine Nuklearanlage wenig. 

Interessant war vor 40 Jahren ein spürbarer Unterschied zwischen protestantischen und katholischen Gebieten. Für den Amerikaner Hermann Kahn, ein damals international bekannter Weltendeuter, war es ein allgemeineres kulturelles Phänomen, dass katholisch geprägte Regionen eben Autoritäten weniger in Frage stellten als protestantische. So konnte man auch die relativ schwache Anti-Nuklear-Bewegung in Frankreich oder Spanien deuten. In Deutschland trat die konfessionelle Differenzierung der Regionen immer mehr in den Hintergrund zumal die aktiven Protestgruppen quer durch die Republik reisten, um Nuklear-Projekte unabhängig vom Standort zu bekämpfen. 

Bei den Techniken der Energiewende wie Windkraft und HGÜ-Leitungen, wie auch bei Endlagern für radioaktive Abfälle verhält es sich eher umgekehrt, also abstrakte Billigung auf nationaler Ebene, aber lokale/regionale Ablehnung im Falle des Falles. Lässt sich aus der Situation der Kernenergie in Deutschland im Hinblick auf Akzeptanz überhaupt etwas lernen?

Es geht hier noch um ein anderes Phänomen, das z.B. bei Stuttgart 21 zu studieren ist: trotz langjähriger Information über Sinn und Ausmaß des Bahnhofsumbaus begannen die Widerstände erst mit dem Anrücken der Baufahrzeuge. So wird es immer wieder sein bei Großprojekten. Ausreichend viele Menschen wollen keine Veränderungen mehr in ihrem Umfeld; es geht ihnen gut, die Nachteile erscheinen jeweils sehr viel größer als irgendwelche Vorteile der Allgemeinheit. 

Bei den Kernkraftwerken spielte eine besondere Rolle, dass die im KKW Beschäftigten in der Umgebung des Kraftwerks lebten, sich identifizierten und die jeweiligen Gemeinden viel Geld bekamen für beste Ausstattung von öffentlichen Diensten. Das erzeugte einen lokalen Konsens, in dem es die Gegner schwer hatten. Man sollte sich nicht wundern, dass nun lokale Meinungen von Trassengegnern ernster genommen werden als damals lokale Befürwortungen: recht bekommt in der Politik derjenige, der mit seiner Angst vor Gefahr argumentiert. Da möchte der Politiker zeigen, wie ernst er die Sorgen nimmt, wie sensibel er ist. Es kann (Beispiel Monstertrassen) auch einmal darum gehen, dass ein Politiker seinen Landsleuten nur zeigen will, was er alles durchsetzen kann.

Lernen lässt sich meines Erachtens aus der Nuklear-Kontroverse nichts. Es wird immer wieder so sein, dass frühzeitige „Aufklärungskampagnen“ keine Aufmerksamkeit finden, weil Aufmerksamkeit die knappste Ressource der Welt ist, um die alle Werbestrategen der Wirtschaft, der Politik und der vielen NGOs kämpfen. Dabei wird die Strategie der Angsterzeugung oder -verstärkung die besseren Erfolgschancen haben als sachliche Darlegungen.

Im engeren Feld der Nuklearprojekte wird man das bei jedem Rückbauprojekt studieren können und ganz besonders bei der nuklearen Entsorgung. Denn hier gilt alles, was ich zu Beginn erläutert habe erneut. 

Roland Tichy

Roland Tichy

Mai 2015

Roland Tichy ist Absolvent der Deutschen Journalistenschule und studierte Volkswirtschaft, Politik und Kommunikationswissenschaften. Er leitete das Berliner Büro des Handelsblatts und war von Juli 2007 bis Juli 2014 Chefredakteur der WirtschaftsWoche. Derzeit ist Roland Tichy als Vorsitzender der Ludwig-Erhard-Stiftung e.V. politisch und publizistisch aktiv. Tichy ist Herausgeber des Internet-Meinungsmagazins „Tichys Einblick“ auf www.rolandtichy.de.

In Deutschland lässt sich ein sehr zwiespältiges Verhältnis vieler Menschen zu Technik und Innovation beobachten: Während bei Konsumentenprodukten und im Internet Neuerungen oft begeistert, bisweilen sogar geradezu naiv angenommen werden, steht eine große und noch wachsende Zahl von Bürgern immer mehr Techniken, die von ihrer Lebenswirklichkeit weiter entfernt sind, wie Rohstoffförderung (insb. sog. Fracking), Energieversorgung (Kernenergie, Kohle) oder Agrotechnologie (insb. Gentechnik) offen feindselig gegenüber? Woher kommt Ihrer Meinung nach dieser Zwiespalt?

Diese Art von Dissonanzen entstehen, wenn Nutzen und Schaden bzw. Kosten weit auseinander fallen. Man sieht das an der jüngsten Debatte über die erstaunlichen Lohnforderungen von Erzieherinnen in Kitas: Viele Eltern haben dafür Verständnis und marschierten auf die Rathäuser, um die Lohnerhöhungen zu unterstützen. Sie erkaufen sich damit ein schnelles Ende des Streiks und vielleicht besser gelaunte Erzieherinnen für ihre Kinder – die Kosten trägt der Steuerzahler. Das Verhalten der Eltern ist also rational – sie kassieren die Vorteile, die Kosten tragen Andere. Das Verschleiern von Kosten ist eines der üblichen Verfahren und hohe politische Kunst, um sich politisch Vorteile zu verschaffen, ohne die Verantwortung übernehmen zu müssen. Staatsverschuldung zählt dazu – was stören mich heute die Zinsen, die spätere Generationen ächzen lassen? Sind dies meine Wähler heute? Wer wählt mich – die Begünstigten von Frühpensionierung, Mütterrente, Mindestlohn – oder die zukünftigen Beitragszahler? Zu überbrücken wäre diese Diskrepanz nur durch verantwortliche Haltung in Medien und Politik, die über einzelne Lobbyinteressen hinausblickt. Für Technologie ist es ganz ähnlich: Lange war Mobilfunk umstritten; die Debatte über die Schädlichkeit von Mobilfunkstrahlen laut und hörbar. Jetzt scheint der Vorteil eines tollen Smartphones die Nachteile für überempfindliche Menschen zu überwiegen; Ende der Debatte. Warum sollte ich Gefahren von Fracking in meiner Umgebung ertragen, wenn der Strom für mich doch aus der Steckdose kommt und die Kosten der Stromerzeugung weit weg anfallen; etwa bei Windrädern in der Nordsee? Wird meine Ernährungssituation durch Genfood besser? Wenn der Nutzen nicht individuell erfahrbar ist, werden die damit verbunden Risiken nicht getragen. 

Für wie gefestigt halten Sie die Meinungen, die zahlreiche Techniken und Wirtschaftszweige ablehnen? Sind sie verinnerlicht oder kanonisiert, also bereits im Schulunterricht verankert, oder gibt es hier auch einen Medieneffekt, in dem der Produktion öffentlicher Empörung einer schweigende Mehrheit mit pragmatischerer Orientierung gegenüber steht.

Die Ablehnung ist gelernt, wie sich ja zeigt, wenn in Niedersachsen sogar Schülerlabors stillgelegt werden müssen. Die Ablehnung ist längst ideologisiert und in den Zustand einer gesamtgesellschaftlichen Sichtweise rechtlich verankert und kanonisiert. Frühe Kämpfer gegen die Kernenergie genießen Heldenstatus wie Soldaten der Roten Armee, die Deutschland befreit haben; Profiteure der Solar- und Windradindustrie gelten nicht als Geschäftemacher und Subventionsjäger, sondern als Innovatoren, Pioniere und Weltverbesserer. Transportiert wird dies durch eine gleichgerichtete Sicht von Politik und Medien; über die Wirkmechanismen der Medien habe ich an anderer Stelle geschrieben, z. B. hier. Medien wirken verstärkend und selektieren die verbreiteten Sichtweisen und Argumente; über die Archivfunktion schreiben sich alte Sichtweise gewissermaßen selbständig fort. 

Wie sehen Sie die künftige Entwicklung: besteht eine Chance die Menschen mit „unbeliebten“ Techniken zu versöhnen bzw. pragmatisches Verständnis zu erreichen, oder muss man sich in Wirtschaft und Politik damit abfinden, dass Skepsis und Misstrauen vieler Menschen gegenüber Technik und Industrie stetig wachsen?

Die Individualisierung von Verhaltensweisen wird dies schwer machen. Nehmen wir scheinbar unpolitische Themenfelder: Wie soll ich als Bürger von Stuttgart ein Dutzend lauter und schmutziger Jahre für den Bau eines teuren Bahnhofs hinnehmen, wenn die „Erträge“ in Form besserer Innenstadtentwicklung bei mir altersbedingt gar nicht mehr ankommen? Nimby, not in my BackYard, ist die politische Erfolgsformel. Das wird schnell zur gesamtwirtschaftlichen Maßgabe; warum sollte ich eine Stromtrasse ertragen oder einen Windpark? Ich? Häufig werden so ja auch neue Lösungen erzwungen, etwa (teure, nicht von mir finanzierte) unterirdische Kabel oder weniger aufwändige Stromtrassen. Allerdings bleiben das regional begrenzte Aktionen, solange eine Art gesamtgesellschaftlicher oder religiöser Überbau fehlt: Kernkraftgegner waren ja weniger die jeweiligen Anwohner, die auch die Vorteile über Jobs und Gewerbesteuer sehen konnten, sondern eine aus einer gefühlten Gesamtverantwortlichkeit handelnden Demonstrationsbewegung, die sich schließlich zu einer Partei verselbständigte, die daraus wiederum das Mandat ableitet, auch andere Fortschrittsformen zu bekämpfen: IT-Industrie, Handy, Gentechnik, Verkehrstrassen. Dagegen ist schwer anzukämpfen, solange Politik auf Führung und Überzeugungsarbeit verzichtet und Medien ziemlich einseitig technikfeindliche Positionen übernehmen.

Dr. Rosmarie Hengstler-Eger

Dr. Rosmarie Hengstler-Eger

Januar 2015

Dr. Rosemarie Hengstler-Eger hat an der Technischen Universität München Physik studiert (Diplom 2008) dort in Physik promoviert (Industriepromotion mit AREVA GmbH, 2012). Sie war von 2011 bis 2014 Ingenieurin für Materialentwicklung und Bestrahlungsprogramme bei der AREVA GmbH in Erlangen und ist seit Januar 2015 Ingenieurin für Materialentwicklung bei AREVA NP SAS in Lyon.

Ihre Forschung befasst sich mit den Effekten, die die Neutronen aus der Kettenreaktion in Druckwasserreaktoren auf Brennstab-Hüllrohre und Brennelement-Strukturteile haben. Was treten infolge der Neutronenbestrahlung für Effekte auf und was für Anforderungen bestehen generell für das Material der Hüllrohre bzw. der Strukturteile?

Die Neutronen „kollidieren“ mit den Atomen des Materials und stoßen sie von ihrer Position in der Gitterstruktur, in der die Atome im Material angeordnet sind. Das versetzte Atom bewegt sich weiter durch das Material und trifft nun seinerseits auf Atome, so dass eine Versetzungskaskade entsteht. Die Atome lassen Leerstellen im Gitter zurück und kommen selbst auf einem Zwischengitterplatz zur Ruhe. Ein Neutron kann mehrere Tausend Leerstellen und Zwischengitteratome erzeugen. Diese Defekte diffundieren durchs Material und können mit Korngrenzen, Zweitphasen oder miteinander wechselwirken. Insbesondere bilden sie Cluster, die im atomaren Gitter des Hüllrohrmaterials die Form von Versetzungsringen annehmen. Diese führen dazu, dass das Material in einer Gitterrichtung schrumpft und sich in den anderen Richtungen ausdehnt; in Folge dehnen sich die Komponenten und damit die Brennelemente (BE) axial, d. h. der Länge nach aus. Dies muss bei der Auslegung berücksichtigt werden und darf nur in begrenztem Maß auftreten. Davon abgesehen müssen die Strukturmaterialien weitere wesentliche Eigenschaften aufweisen, z.B., einen hohen Schmelzpunkt, einen hohen Korrosionswiderstand, geringe Wasserstoffaufnahme sowie einen geringen Einfangsquerschnitt für thermische Neutronen, damit nicht zu viele Neutronen, die für die Aufrechterhaltung der Kettenreaktion benötigt werden, absorbiert werden. 

Worin liegt nun der besondere Ansatz Ihrer Forschung, worin der praktische Nutzen, der sich daraus ergeben kann?

Für die Materialentwicklung besteht die Herausforderung, dass Experimente im Kraftwerk sich über Jahre hinziehen und aufgrund der Aktivierung der Proben hohe Kosten für Transport und Nachuntersuchungen anfallen. Darüber hinaus sind die experimentellen Parameter im Reaktor relativ unflexibel vorgegeben, und man kann die Proben nur während der Revisionen entnehmen. Der Ansatz meiner Arbeit ist, die Strahlenschäden nicht im Reaktor mit Neutronen, sondern außerhalb des Kerns durch Ionenbestrahlung zu erzeugen. Damit überspringt man die erste Kollision zwischen Neutron und Atom und beginnt direkt mit dem ersten versetzten Atom. Da Ionen sehr viel stärker als Neutronen mit dem Material wechselwirken, erzeugt man die für das Ende des Lebens eines Brennelements typischen Effekte in Form der Versetzungsdichten in einigen Stunden. Die Proben werden nicht aktiviert, und die experimentellen Parameter sind frei wählbar. Das Besondere ist jedoch, dass sich die Proben bestrahlen lassen, während sie sich in einem Transmissions-Elektronen-Mikroskop befinden. Damit kann man die Entwicklung der Strahlenschäden live beobachten und untersuchen, wie sich die Defekte mit der Dosis entwickeln. Es ist unmöglich, solche Informationen durch Experimente im Reaktor zu erhalten. Wir können damit den Einfluss von Material- und Umgebungsparametern auf die Strahlenschäden untersuchen. Die Ergebnisse gehen in die Materialoptimierung ein. 

Wo liegen aus Ihrer Sicht weitere Innovationspotentiale in der Leichtwasserreaktortechnik und wie sind Forschung und Entwicklung in Deutschland dabei im weltweiten Vergleich positioniert?

Im Bereich LWR-Design sind hier z.B. die Small Modular Reactors zu nennen. In der Brennelement-Entwicklung werden nicht nur die bewährten Strukturmaterialien und Brennstoffe optimiert, sondern auch ganz neue Materialsysteme untersucht. Innovationspotentiale gibt es natürlich auch in der Codeentwicklung, also bei den numerischen Simulationen an Computern. Leider wird die universitäre Forschung im Bereich Kerntechnik in Deutschland deutlich reduziert. Dies steht in keinem Vergleich zu Ländern wie USA und Frankreich. Bezeichnend dafür ist, dass die Anlage, an der ich die Experimente durchführe, nicht zu einem deutschen Institut, sondern zum Argonne National Lab in den Vereinigten Staaten gehört. 

Zum Abschluss noch eine allgemeinere Frage: welche Rolle spielt aus Ihrer Sicht heute noch die Exzellenz in der Kerntechnik für die technische und industrielle Kompetenz im Allgemeinen? In der Vergangenheit sind ja von FuE in der Kerntechnik wichtige Impulse auch für andere Gebiete ausgegangen und es wurden industrielle Qualitätsmaßstäbe gesetzt.

Die hohen Sicherheitsstandards in der Kerntechnik erfordern eine kontinuierliche Überwachung der Komponenten ebenso wie eine Integration des aktuellen Stands von Wissenschaft und Technik in die bestehenden Anlagen. Entsprechend werden Entwicklungen in der Materialprüfung, Messtechnik und Robotik vorangetrieben und Verfahren zur Komponentenerneuerung gefunden. Diese sind auch in anderen Bereichen anwendbar, z.B. für Windkraftanlagen oder konventionelle Kraftwerke. Ein weiterer Bereich, der von den Entwicklungen in der Kerntechnik profitiert, ist die Medizin. Der Bedarf an radioaktiven Isotopen für Diagnostik und Therapie und die damit verbundenen Fragen zu Strahlenschutz, Handhabung, Transport und (End-)Lagerung sind Themen, zu deren Lösung die Expertise der Kerntechnik wesentlich beiträgt.

Jan Pauly

Jan Pauly

Januar 2015

Die Strahlenschutzkommission (SSK) war vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit aufgefordert worden, das fachliche Regelwerk zum nuklearen Notfallschutz (Katastrophenschutz) vor dem Hintergrund des Unfalls in Fukushima zu überprüfen. Als eine der Folgemaßnahmen wurde die SSK Empfehlung zu den Planungsmaßnahmen für den Notfallschutz in der Umgebung von Kernkraftwerken beraten und anschließend veröffentlicht. Hierzu hat kernenergie.de ein Expertengespräch mit Jan Pauly, Abteilung Grundsatzfragen/Policy, Global Unit Generation der E.ON Kernkraft GmbH geführt:

Im Februar 2014 hat die Strahlenschutzkommission (SSK) Empfehlungen zu den Planungsgebieten für den Notfallschutz in der Umgebung von Kernkraftwerken vorgelegt, die als Post-Fukushima-Maßnahme zu verstehen sind. Was sind die Eckpunkte dieser Empfehlungen?

Die Empfehlung enthält eine signifikante Ausweitung der derzeit existierenden Planungsradien (Gebiete, in denen Katastrophenschutzmaßnahmen vorgeplant werden sollen), die grob eine Verdoppelung bis Vervierfachung der Radien und damit eine Vervier- bis Versechzehnfachung der betroffenen Gebiete bedeutet. Die wesentlichen Änderungen sind in der nachfolgenden Tabelle dargestellt. Direkte Auswirkungen auf die in diesen Gebieten lebenden Menschen haben die Planungsradien im normalen Leben nicht, wie es auch bereits für die alten Planungsradien galt. In den betroffenen Gebieten sollen von den lokalen Katastrophenschutzbehörden bestimmte Maßnahmen vorgeplant werden, so dass diese innerhalb vorgegebener Zeiträume zum Schutz der Bevölkerung durchgeführt werden können. Hierbei sind bisher bereits meist mehrere lokale Katastrophenschutzbehörden (i.d.R. die Landkreise) betroffen und z.T. auch mehrere Bundesländer, zukünftig wird dies durch die Vergrößerung wesentlich mehr Behörden betreffen. Die seit 1999 nahezu unverändert geltenden Richtwerte für einzelne Maßnahmen (z.B. Wert ab dem eine Evakuierung gerechtfertigt wäre, liegt bei einer Dosis von 100mSv in 7 Tagen) wurden von der SSK ebenfalls überprüft, hier wurde jedoch kein Anpassungsbedarf gesehen.

Prof. Dr. Thomas Klinger

Prof. Dr. Thomas Klinger

Januar 2014

Prof. Dr. Thomas Klinger ist Mitglied des Direktoriums des Max-Planck-Instituts für Plasmaphysik, Wissenschaftlicher Leiter der Unternehmung Wendelstein 7-X am Teilinstitut Greifswald und Leiter des Bereichs Stellarator-Dynamik und -Transport. Er hat seit 2002 den Lehrstuhl für Experimentelle Plasmaphysik an der Ernst-Moritz-Arndt-Universität zu Greifswald inne.

kernenergie.de hat Prof. Dr. Thomas Klinger zur Kernfusionsforschung in Deutschland und weltweit sowie ihrer Bedeutung für Hochtechnologieindustrien befragt

Mit dem Experiment Wendelstein 7-X in Greifswald wird derzeit eine zweite große Anlage zur Fusionsforschung aufgebaut, neben dem Projekt ITER in Frankreich an dem das Max-Planck-Institut für Plasmaphysik (IPP) ebenfalls mitarbeitet. Was sind die Gründe dafür, zwei so große Projekte zu verfolgen und wo liegen die Unterschiede in den Konzepten?

Bei den beiden Großprojekten ITER und Wendelstein 7-X geht es darum, aussagekräftige Daten über die Kraftwerkstauglichkeit der beiden Einschlusskonzepte für ein Fusionsplasma „Tokamak“ und „Stellarator“ zu erlangen.

Dafür müssen die experimentellen Anlagen eine gewisse Mindestgröße haben. Die Größe von ITER ist so gewählt, dass ein integrierter nuklearer Betrieb mit zehnfach höherer Energieerzeugung als Energieaufnahme möglich ist. Dies ist ein extrem wichtiger Schritt für die Fusionsforschung. Wendelstein 7-X ist hingegen nicht als nukleare Anlage konzipiert und wird folglich auch keinen Energieüberschuß generieren. Die Aufgabe von Wendelstein 7-X besteht aus zwei großen Zielen: Erstens soll der stark verbesserte Plasmaeinschluss demonstriert werden, der mit einer systematischen Optimierung des Magnetfeldes erwartet wird. Zweitens soll die Anlage erstmalig ein für die Fusion relevantes Wasserstoffplasma für dreißig Minuten aufrecht erhalten. Das Erreichen des ersten Zieles würde den Stellarator als Kraftwerkskonzept bestätigen, das zweite Ziel ist auch für ITER von großer wissenschaftlicher und technologischer Bedeutung, da auch dieser das Plasma für lange Zeitintervalle aufrecht erhalten soll.

Der Unterschied zwischen den beiden Konzepten „Tokamak“ und „Stellarator“ liegt in der Erzeugung und der Gestalt des Magnetfeldes: Im Tokamak wird das ringförmige Magnetfeld durch Spulen erzeugt, in denen ein starker Strom fließt. Die für den Plasmaeinschluß unbedingt notwendige Verdrillung der magnetischen Feldlinien erfolgt über einen Strom im Plasma, der über den Induktionseffekt erzeugt wird. Im Stellarator wird das ringförmige Magnetfeld gleich mit der Verdrillung durch stromdurchflossene Spulen erzeugt. Ein zusätzlicher Strom innerhalb des Plasmas ist hier nicht erforderlich. Dies hat wichtige Konsequenzen: Im Tokamak hat das Magnetfeld Symmetrien, die u.a. den Teilcheneinschluss optimieren. Diese Symmetrien liegen beim Stellarator nicht vor, was dazu führt, dass die dreidimensionalen Magnetfelder optimiert werden müssen. Dazu sind aufwändige Berechnungen zur Lösung der Grundgleichungen erforderlich. Diese sind erst seit der Verfügbarkeit von Supercomputern umsetzbar geworden, was dazu führt, dass das Stellaratorkonzept in seiner Entwicklung noch nicht soweit vorangeschritten ist wie der Tokamak. Allerdings hat der Stellarator entscheidende Vorteile: Er ist prinzipbedingt zum Dauerbetrieb fähig, was beim Tokamak wesentlich schwieriger ist, da die dort erforderliche Erzeugung eines starken Stroms im Plasma heute noch nicht kontinuierlich erfolgen kann. Zudem gibt es viele Hinweise, dass der Stellarator einfacher zu steuern und grundsätzlich betriebsstabiler ist. Daher werden beide Konzepte – Tokamak und Stellartator – in einem weltweit koordinierten Forschungsprogramm untersucht.

Wenn Sie ITER und Wendelstein 7-X mit ihren unterschiedlichen Konzepten in der Geschichte der kontrollierten Kernfusionsforschung verorten, welche der beiden Technologien ist aus Ihrer Sicht näher an einer praktischen Anwendung zur Energiegewinnung?

Die Forschungsanlage ITER wird mit der Zielsetzung gebaut, erstmalig erheblich mehr Energie zu erzeugen als sie aufnimmt. Wendelstein 7-X hat für eine signifikante Energieerzeugung ein zu geringes Plasmavolumen, aber die Anlage ist dafür auch nicht gedacht: Der Stellarator muss zunächst das Kraftwerkspotential demonstrieren, was beim Tokamak mit der europäischen Forschungsanlage JET in Culham (UK) schon gelungen ist. In diesem Sinne ist der Tokamak näher an einer praktischen Anwendung zur Energiegewinnung. Man muss allerdings beachten, dass es sich immer noch um Forschungsanlagen handelt und Untersuchungen in erheblichem Umfang getätigt werden müssen, um ein klares Bild von einem Fusionskraftwerk zu erhalten. Der Stellarator hat eindeutige Vorteile (siehe oben), muss aber sein Potential noch zeigen. Es ist überdies durchaus denkbar, dass beide Konzepte zur Anwendungsreife kommen und – wie beim Otto- und Dieselmotor – parallel vermarktet werden.

Wesentliche wissenschaftliche und technologische Fragestellungen für Tokamak und Stellarator umfassen,

  • Stabilität des Plasmazustandes,
  • Plasmaturbulenz, die zur Verschlechterung des Einschlusses führt,
  • Wechselwirkung zwischen dem Plasma und den Wandstrukturen
  • effiziente Heizmethoden für das Plasma
  • dauerhafte Plasmaerzeugung,
  • Erzeugung von Tritium als Brennstoff in den sog. Blanket-Wandstrukturen.

Die Fortschritte der vergangenen Jahrzehnte sind beachtlich. So konnte in den letzten Jahrzehnten durch hartnäckige Forschung der wichtigste Gütefaktor um drei Größenordnungen – also um Faktor 1.000 – verbessert werden. Dieser Gütefaktor beschreibt die Kombination aus erforderlicher Plasmadichte und Temperatur sowie die Wärmeisolation durch das einschließende magnetische Feld. Inzwischen werden in den modernen Experimentieranlagen der Welt routinemässig Plasmatemperaturen von über 100 Millionen Grad Kelvin erreicht, was die Grundvoraussetzung für effiziente Energieerzeugung durch Fusion ist.

In einer Broschüre anlässlich des 50-jährigen Bestehens des Max-Planck-Instituts für Plasmaphysik im Jahr 2010 findet sich ein Überblick über die Entwicklungsgeschichte der Fusionsforschung mit Tokamaks und Stellaratoren.

In beiden Fusionsprojekten wird wissenschaftliches und technologisches Neuland beschritten. Wie schätzen Sie die Bedeutung dieser Entwicklung über die kontrollierte Kernfusion hinaus ein, wie bedeutsam wird es für Unternehmen und Industriestandorte allgemein sein, in diesem Bereich eine führende Rolle zu spielen?

Die Fusionsforschung erfordert Hochtechnologien wie Supraleitung, Kältetechnik, Vakuumtechnologien, Hochleistungsmikrowellen, Nukleartechnik u.v.a.m. Die Industrieaufträge, die im Zusammenhang mit dem Aufbau von ITER und Wendelstein 7-X vergeben werden, gehen oft an die Grenze des technologisch machbaren. Damit werden die Industriepartner zu Höchstleistungen angetrieben, die sie letzlich am Markt wettbewerbsfähiger machen. Dieser Trainingseffekt ist bedeutender als alle spin-offs, die aus der Fusionsforschung abgeleitet werden können. Langfristig ist es für die Industrie natürlich attraktiv, die Schlüsseltechnologien zu beherrschen, die für den Bau von Fusionskraftwerken erforderlich sind. Diese Erkenntnis hat bei dem internationalen Projekt ITER dazu geführt, dass die sieben ITER-Partner darauf bestanden haben, dass jeder Partner alle wesentlichen Technologien beherrschen lernt, was natürlich zu einer äußerst komplexen Projektstruktur führt.

Christian Meyer zu Schwabedissen

Christian Meyer zu Schwabedissen

Januar 2014

Christian Meyer zu Schwabedissen ist seit 38 Jahren in verschiedenen Bereichen der Kerntechnik tätig. Bei Siemens KWU begann er als Wissenschaftlicher Mitarbeiter und war später an der Inbetriebsetzung aller deutschen Kernkraftwerke beteiligt. Nach Ende der Ausbauphase fungierte er als Berater der Kraftwerksbetreiber. Seit 1998 verantwortet er die Kontakte zu Politik und Verbänden zunächst bei Siemens KWU, später bei AREVA GmbH. Dort leitet er als Direktor Politische Kontakte seit 2003 das Berliner Büro.

Nach dem Reaktorunfall von Fukushima wurde in Deutschland ein sehr rascher Politikwechsel vorgenommen und von einer Zäsur in Bezug auf die Nutzung der Kernenergie gesprochen. Wie hat sich außerhalb Deutschlands die Sicht auf die Kernenergie entwickelt?

Jedes Kernkraftwerke betreibende Land hat nach Fukushima die eigenen Anlagen kritisch überprüft. Am bekanntesten ist hierzulande ja der sogenannte Stresstest der Europäischen Union, der im Übrigen das hohe Sicherheitsniveau aller deutschen Kernkraftwerke bestätigt hat. Aber auch in anderen Ländern gab es vergleichbare Analysen. China hat beispielsweise den Schluss gezogen, bei Neubauvorhaben nur noch auf sogenannte Generation III-Reaktoren zu setzen. Viele Staaten haben insbesondere Schutzmaßnahmen gegenüber starken Naturereignissen weiter verstärkt. Gleichzeitig laufen auch die Neubauprogramme weiter, beispielsweise in EU-Staaten wie Großbritannien oder Finnland, aber auch in Amerika und Asien. Großbritannien hat dabei einen interessanten Ansatz gefunden, die Vorteile der Kernenergie mit denen der Erneuerbaren Energien zu verbinden. Aus meiner Sicht zeigt sich inzwischen ganz deutlich, dass der deutsche Ausstieg ein Einzelfall bleibt. 

Welche Aspekte spielen Ihrer Erfahrung nach eine wesentliche Rolle, wenn in Staaten politische Entscheidungen zur Fortführung bzw. zum Ausbau der Kernenergie getroffen werden, oder ganz neu in die Technik eingestiegen werden soll?

Der effizientere Einsatz von Ressourcen sowie Umwelt- und Klimaschutz bestimmen die Energiepolitik aller Staaten. Außerhalb Deutschlands haben auch die Faktoren Bezahlbarkeit und Versorgungssicherheit höchste Priorität. Vor diesem Hintergrund ist es sinnvoll, auch auf die Kernenergie zu setzen. Schließlich kann Kernenergie nicht nur 24 Stunden Strom produzieren, sondern ist auch CO2-arm und schont die fossilen Ressourcen. 

Klimapolitische Ziele und ein Ausbau erneuerbarer Energien stehen auch in zahlreichen anderen Ländern auf der energiepolitischen Agenda. Wo sehen Sie die Rolle der Kernenergie bei der globalen Energieversorgung um die Mitte des Jahrhunderts?

Alle internationalen Studien sehen einen Zuwachs bei der Kernenergie. So erwartet die Internationale Energieagentur einen Anstieg der installierten Leistung von knapp 400 Gigawatt heute auf 600 Gigawatt in 2035. Da in diesem Zeitraum auch Kernkraftwerke altersbedingt von Netz gehen, gibt es einen Neubaubedarf von etwa 300 Gigawatt. Das entspricht mehr als 200 neuen Kernkraftwerken. Dieser Zubau wird natürlich überwiegend in Asien stattfinden, da hier der Stromverbrauch am stärksten wächst. Doch auch in Europa wird es weiterhin zunehmend Neubauprojekte geben. Mit Blick auf die Europäische Union bleibt die Zahl der Kernenergiestaaten konstant, wenn Polen wie derzeit geplant etwa zu dem Zeitpunkt neu in die Kernenergie einsteigt, wenn Deutschland aussteigt – also 2022.

Bernd J. Breloer

Bernd J. Breloer

Dezember 2013

Dipl.-Kfm. Bernd J. Breloer war unter anderem Mitglied der Geschäftsführung der Uranit GmbH, Vorsitzender der Geschäftsführung der Nukem GmbH, Member of the Board der Urenco Limited und Vorstand der RWE Rheinbraun AG.

kernenergie.de hat Bernd Breloer zur Endlagersuche nach dem Standortauswahlgesetz, zum Standort Gorleben und zur Kommission „Lagerung hoch radioaktiver Abfallstoffe“ befragt.

Mit dem Standortauswahlgesetz soll ein Neuanfang bei der Suche nach einem Endlager für wärmeentwickelnde radioaktive Abfälle gemacht und ein gesellschaftlicher Konsens angestrebt werden. Wie würden Sie die Aussichten auf einen dauerhaften Konsens einschätzen?

Bevor wir über dauerhaften Konsens reden, halten wir erst einmal fest, dass der Konsens bisher nur im Negativen besteht: Keine Erkundung des Salzstocks Gorleben, keine Transporte von verglasten Abfällen aus der Wiederaufarbeitung in Frankreich und England ins Zwischenlager Gorleben, Beendigung der Sicherheitsanalyse des Standorts Gorleben, welche die Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS) durchgeführt hat, „ohne Eignungsprognose“ und last but not least kein Salzlabor im Erkundungsbergwerk zu noch ausstehenden Forschungen zum Medium Salz als Wirtsgestein. In Wirklichkeit besteht der Konsens darin, erst einmal – und dies möglichst lange – in Sachen Endlagerung nichts zu tun. Erst recht darf Gorleben nicht zuende erkundet werden. Spätestens wenn es bei der Suche nach alternativen Standorten irgendwann irgendwie konkret werden sollte, wird der vermeintliche Konsens auseinanderfallen. Kann sich irgendjemand vorstellen, dass die betroffene regionale Politik oder gar die Antiatomgruppen tatenlos zusehen, wenn es um einen konkreten neuen Standort geht? Kann man sich vorstellen, dass die Politik dann keine divergierenden Interessen feststellt und politisch nutzt? Zumal ja bereits gezeigt wurde, dass und wie man aus politischen Gründen die Realisierung eines Endlagers verhindern kann, auch wenn schon Milliarden dafür ausgegeben wurden. 

Die Erkundung von Gorleben wurde gestoppt, der Standort wird aber offen gehalten und verbleibt im Auswahlverfahren, wo er mit den zukünftigen zusätzlichen Erkundungsstandorten verglichen werden soll. Gibt es einen zwingenden Grund für eine neue Standortsuche unter Verzicht auf den Abschluss der Erkundung von Gorleben?

Aus fachlicher Sicht gibt es überhaupt keinen Grund, erst recht keinen zwingenden, für eine neue Standortsuche. Schon gar nicht vor Abschluss der Erkundung von Gorleben. Die bisherige Erkundung hat ja bekanntlich alle Erwartungen hinsichtlich der Eignung des Standortes erfüllt. Die rot-grüne Bundesregierung hat der Stromwirtschaft im Juni 2000 sogar schwarz auf weiß gegeben, dass die bisher gewonnenen geologischen Befunde einer Eignungshöffigkeit des Salzstockes in Gorleben nicht entgegenstehen. In der Vorläufigen Sicherheitsanalyse zu Gorleben kann jeder auf der Website der GRS nachlesen, dass der Salzstock die Abfälle eine Million Jahre sicher einschließen wird, dass das Barrierensystem die Sicherheitsprinzipien des Bundesumweltministeriums erfüllt und dass das Endlagersystem auch gegenüber ungünstigen Annahmen robust ist. Bemerkenswert ist, dass man diese Studie auf der Website des Auftraggebers, nämlich des BMU, oder des für Endlager zuständigen Bundesamtes für Strahlenschutz vergeblich sucht. 

Für eine neue, teure und voraussichtlich vergebliche Standortsuche gibt es allein politische Gründe, die ja auch erreicht wurden: Das Thema ist einstweilen von der politische Bühne verschwunden. 

Die im Standortauswahlgesetz vorgesehene Kommission „Lagerung hoch radioaktiver Abfallstoffe“ soll die Frage der Entsorgung dieser Abfälle völlig neu und offen sowie wissenschaftsbasiert diskutieren. Wie verhalten sich diese Ansprüche zu einander angesichts von mehreren Jahrzehnten nuklearer Entsorgungsforschung in einer Vielzahl von Staaten?

Wie das ganze Gesetz, so hat natürlich auch diese Kommission nur politisch-taktische Bedeutung. Das gilt bereits für die Formulierungen, die unterstellen, alles Bisherige sei von minderer, schlechter Qualität. Die Realität ist anders. Deutschland verfügt aus eigener geologischer Forschung und der Beteiligung an ausländischen Projekten über ein breites Erfahrungswissen. Deutschland muss nicht bei Null anfangen. Die Schlüsselfrage, ob Steinsalz überhaupt für ein Endlager geeignet ist, ist schon lange positiv beantwortet. In der Zeit der rot-grünen Bundesregierung hat der damalige Bundesumweltminister Trittin versucht, Steinsalz als Wirtsgestein für ein Endlager durch Vergleichsstudien mit Granit und Ton zu disqualifizieren. Das gelang aber nicht. Auch in der anderen Schlüsselfrage, welche Sicherheitsanforderungen an ein Endlager zu stellen sind, ist Deutschland auf der Höhe der Kunst: Vor gerade drei Jahren hat das Bundesumweltministerium die Sicherheitsanforderungen auf den neuesten Stand gebracht. 

Lassen sie mich zusammenfassen: Wir haben mit hoher Wahrscheinlichkeit in Gorleben einen geeigneten Endlagerstandort. Es ist daher sachlich völlig unnötig, eine neue Standortsuche zu beginnen. Das würde jedermann deutlich werden, wenn man die wenigen noch ausstehenden Untersuchungen in Gorleben zu Ende führen würde. Genau aus diesem Grunde findet dies nicht statt. Dass er [der Salzstock Gorleben] wenigstens im Auswahlverfahren bleibt, ist ein Glück. Ich persönlich und auch mein Koautor Wolfgang Breyer, der Ihre Fragen gemeinsam mit mir bearbeitet hat, glauben, dass am Ende der Tage das Endlager in Gorleben realisiert wird. Es wird ein langer und sehr teurer Weg bis dahin.

Prof. Dr. Horst Zillessen

Prof. Dr. Horst Zillessen

Dezember 2013

Firmengründer, Geschäftsführer, Gesellschafter der MEDIATOR GmbH – Mediation und Konfliktberatung. Einer der ersten und erfahrensten Umweltmediatoren im deutschsprachigen Raum.

Viele Bundespolitiker glauben, dass mit ihren Beschlüssen des Ausstiegs aus der Kernenergie bis Ende 2022 ein sogenannter „gesellschaftlicher Großkonflikt“ endlich und ein für alle Mal befriedet worden ist. Teilen Sie diese Ansicht? 

An der Befriedung dieses Konflikts sind die zivilgesellschaftlichen Organisationen bislang nicht oder kaum beteiligt worden, daher teile ich angesichts meiner Mediationserfahrungen bei umweltpolitischen Konflikten diese Auffassung nicht. Angesichts der gesellschaftlichen Bedeutung dieses Konflikts erscheint es mir äußerst fraglich, ob er allein durch bundespolitische Beschlüsse beigelegt werden kann. Hier bedarf es eines konsensorientierten Verfahrens z.B. im Rahmen eines Forums, in dem mit Beteiligung nicht nur der politischen und wirtschaftlichen, sondern auch der einschlägigen gesellschaftlichen Organisationen Pro und Contra sorgfältig und für die Öffentlichkeit nachvollziehbar abgewogen werden und unter der Leitung von erfahrenen Mediatoren versucht wird, die Grundfragen dieses Konflikts sorgfältig und unvoreingenommen aufzuarbeiten. Am Ende eines solchen Verfahrens kann dann in für die Öffentlichkeit nachvollziehbarer Abwägung des Pro und Contra ein Entscheidungsvorschlag an die zuständigen politischen Gremien stehen.

Der Diskussionsprozess sollte für die Öffentlichkeit nachvollziehbar dokumentiert werden, jedoch nicht in Form einer permanenten Fernsehberichterstattung, die mit der Gefahr von „Fensterreden“ der Beteiligten verbunden ist. Es bedarf bei diesem Thema eines sorgfältigen und ernsthaften Aufeinanderhörens und des Ernstnehmens der unterschiedlichen Sichtweisen sowie des vorurteilsfreien Abwägens der Vor- und Nachteile des Ausstiegs unter den Aspekten der Versorgungssicherheit, des Klimaschutzes wie der Vorsorgefähigkeit für einen Generationen übergreifenden Zeitraum. Dabei wird es aller Voraussicht nach für viele Beteiligte Lernprozesse geben. Eine permanente Öffentlichkeit ist für ein solches Vorgehen kontraproduktiv. 

Die Diskussion sollte also nicht in aller Öffentlichkeit geführt werden, weil sie offen bleiben muss für Erkenntnisprozesse und neue Einsichten aller Beteiligten, denen dann nicht öffentlich vorgehalten werden darf, dass sie ihre Meinung geändert haben, weil sie in dem Diskussionsprozess dazu gelernt haben – wovor auch in diesem Zusammenhang niemand gefeit ist. Die regelmäßige Einbindung und Information der Öffentlichkeit muss freilich gewährleistet sein – d.h. die Öffentlichkeit muss über Sitzungsprotokolle sowie gegebenenfalls auch durch Pressekonferenzen und öffentliche Veranstaltungen, über deren Zeitpunkt und Ablauf das Forum befindet, informiert werden. Auf diese Weise kann die Öffentlichkeit nachvollziehen und verstehen, wie der Diskussionsprozess verläuft und welche Argumente schließlich zu einer einvernehmlichen (im besten Fall) oder zu einer mehrheitlich beschlossenen Regelung des Ausstiegs geführt haben. 

Die Debatte um die Kernenergie in Deutschland wird seit vielen Jahren von großen, z.T. heftigen Emotionen geprägt. (Wie) Lässt sich diese Debatte nachhaltig beruhigen? Zumal neue gesellschaftliche Konflikte bereits keimen, z.B. an potentiellen Standorten für ein Endlager hochradioaktiver Abfälle.

Die Debatte um die Kernenergie ist vor allem deshalb so emotional geführt worden, weil seitens der Politik nie ernsthaft versucht worden ist, sie zum Gegenstand eines entscheidungsoffenen Dialogprozesses zu machen, obwohl von Anfang an offensichtlich gewesen ist, dass die Nutzung der Kernenergie heftige gesellschaftliche Auseinandersetzungen auslösen würde. Die Politik hat in diesem Themenfeld vor allem nach der Methode gehandelt, die in den USA mit der Bezeichnung „Decide-Announce-Defend-Approach“ versehen worden ist, wobei die Abkürzung „DAD-Aproach“ die Assoziation mit dead nahelegen soll. 

Angesichts der auf diese Weise geschaffenen Fakten kann die Debatte um die Kernenergie wohl nur dadurch beruhigt werden, dass bei der Umsetzung des politisch beschlossenen Ausstiegs aus der Kernenergie ein anderer Weg eingeschlagen wird. Die Aussichten dafür schätze ich freilich als nicht sehr günstig ein. Bereits Ende der 90er Jahre habe ich in einem Gespräch zwischen Mitarbeitern der zuständigen Abteilung des BMU und dem Vorstand des Fördervereins Umweltmediation e.V., Bonn, in Berlin ein Konzept „Standortsuche für eine nationale Atommülllagerstätte unter Mithilfe von in der Regelung öffentlicher Konflikte erfahrenen Mediatoren“ vorgestellt. Es stieß bei den Vertretern des Ministeriums zwar auf Interesse, aber vor allem auf Zweifel, ob die Spitze des Hauses ein solches Beteiligungskonzept akzeptieren würde. Ob sich die Debatte um die Kernenergie überhaupt nachhaltig beruhigen lässt, ist angesichts der bisherigen Form der Entscheidungs- und Diskussionsprozesse schwer abschätzbar – wenn überhaupt, dann nur mit einer größeren Offenheit der Politik im Umgang mit den in diesem Themenfeld engagierten gesellschaftlichen Gruppen und Organisationen. 

Die meisten Experten vermuten, dass bis zur Eröffnung eines Endlagers für hochradioaktive Abfälle noch Jahrzehnte vergehen werden. Welche Empfehlungen geben Sie dazu für die Kommunikation vor Ort an den KKW-Standorten mit Zwischenlagern für radioaktive Abfälle?

Für die Kommunikation an den KKW-Standorten wäre es sicher hilfreich, zunächst zuzugestehen, dass der Kommunikationsprozess bislang nicht sehr glücklich gelaufen ist (ohne dass dabei die Schuldfrage thematisiert wird), aber für die Zukunft eine neue Form der Kommunikation angestrebt wird. Dabei sollten – ggf. unter allparteilicher Leitung – die Bedenken und Befürchtungen, aber auch die Erfahrungen und Einsichten vor Ort verstärkt in die Planung der weiteren Schritte einbezogen werden.

Prof. Dr. Dr. h.c. Ortwin Renn

Prof. Dr. Dr. h.c. Ortwin Renn

Dezember 2013

Prof. Dr. Dr. h.c. Ortwin Renn ist Ordinarius für Umwelt- und Techniksoziologie an der Universität Stuttgart und Direktor des Zentrums für Interdisziplinäre Risiko- und Innovationsforschung an der Universität Stuttgart (ZIRIUS). Er war Mitglied in der von Bundeskanzlerin Angela Merkel berufenen Ethikkommission „Zukunft der Energieversorgung“.

Wie bewerten Sie heute im Rückblick von zwei Jahren Arbeit und Ergebnis der Ethikkommission „Sichere Energieversorgung“? 

Nach dem Reaktorunfall von Fukushima gab es in der deutschen Bevölkerung kaum mehr einen Rückhalt für eine Laufzeitverlängerung der bestehenden Kernkraftwerke. Auch in den meisten gesellschaftlichen Gruppen war die Akzeptanz nicht mehr gegeben. Insofern war die Empfehlung der Ethikkommission, aus der Kernenergie bis zum Jahre 2022 auszusteigen, eine adäquate Reaktion auf die damalige (und auch weiterhin gültige) Stimmungslage in der Bevölkerung. Gleichzeitig zeigte die Ethikkommission auf, dass ein Verzicht auf Kernenergie verbunden mit einer aktiven Klimapolitik ein ehrgeiziges Gemeinschaftswerk aller Beteiligten notwendig machen würde. Die Umsetzung in Projekte und Politikprogramme, die sich aus diesem Gemeinschaftswerk ergeben, sollte zu einem von einem koordinierenden politischen Gremium gebündelt und zum anderen durch eine öffentliche Plattform effektiv vermittelt werden. Diese beiden Empfehlungen sind bis heute nur halbherzig umgesetzt worden. Das hat dazu geführt, dass viele neue Probleme und Steuerungsdefizite aufgetreten sind, die dringend angegangen werden müssen. Stichworte hier sind Reform des EEG, Einführung von Kapazitätsmärkte, Verbesserung der Energieeffizienz im Hausbestand und anderes mehr. Prinzipiell sind aber die Ziele der Energiewende umsetzbar, wenn nicht politisches Konkurrenzdenken und partikuläre Eigennutzgedanken die Energiepolitik in Deutschland bestimmen. 

Welche konkreten Maßnahmen empfehlen Sie, um die Menschen grundsätzlich bei den Fragen Transporte, Zwischenlagerung und Endlagerung hochradioaktiver Abfälle mitzunehmen?

Die drei Schlüsselworte hier sind: Transparenz, Dialog und Beteiligung. Zum ersten ist wichtig, dass alle Fakten und Bewertungen öffentlich zugänglich sind, so dass Befürchtungen über geheim gehaltene Dokumente oder unveröffentlichte Forschungsergebnisse zerstreut werden können. Zum zweiten ist es notwendig, im Dialog mit den relevanten gesellschaftlichen Gruppen und der Bevölkerung die dringlichen Anliegen und Befürchtungen zu sammeln und die damit verbundenen Handlungsvorschläge auf ihre Machbarkeit zu überprüfen. Dieses sollte durch ein unabhängiges Expertengremium geschehen. Schließlich ist es zentral, bei der Standortsuche mehrere Optionen parallel zu erkunden und dann im Rahmen von Beteiligungsverfahren gemeinsam mit Repräsentanten der betroffenen Bevölkerung diejenigen Standorte vergleichend zu bewerten, die alle vorher festgelegten Sicherheitsstandards für die Endlagerung erfüllen. Wichtig ist, dass alle Beteiligten den Eindruck eines fairen, transparenten und umfassenden Auswahlprozesses erhalten. 

Was muss Ihrer Meinung nach in diesem Zusammenhang unbedingt vermieden werden?

Zunächst muss vermieden werden, in der Öffentlichkeit den Eindruck zu hinterlassen, man könne den für Deutschland am besten geeigneten Standort objektiv bestimmen. Ein Sicherheitsvergleich über mehrere Wirtsgesteinformationen ist schon aus konzeptionellen Gründen problematisch, aber der wesentliche Grund ist dabei, dass jede Option Vor-und Nachteile haben wird, die man schwer gegeneinander aufrechnen kann. Stattdessen muss es das Ziel sein, mehrere Standorte auszuweisen, die alle die vorher festgelegten Kriterien für die Sicherheit erfüllen. Zum zweiten sind die dazu notwendigen Sicherheitskriterien und Schutzziele in einem offenen, transparenten und von Expertise geprägten Prozess aufzustellen. Erst wenn mehrere sicherheitstechnisch zweifellos geeignete Standorte bestimmt sind, kann über Beteiligung der jeweiligen Standortbevölkerung ein faires und andere wirtschaftliche und soziale Entscheidungskriterien einbeziehendes Auswahlverfahren verwirklicht werden.

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