Rückbau

Nach dem beschleunigten Ausstieg aus der Nutzung der Kernenergie zur Stromerzeugung in Deutschland ist die Aufgabe des Rückbaus der Kernkraftwerke in den Vordergrund gerückt. Ziel dabei ist es, mit einem sicheren und effizienten Rückbau das Kraftwerksgelände zu renaturieren oder anderweitig nutzen zu können. Der Rückbau eines abgeschalteten  Kernkraftwerks ist im Atomgesetz vorgesehen, die Kosten dafür trägt der Betreiber des Kraftwerks. Für den Rückbau ist eine gesonderte Genehmigung erforderlich, die von der atomrechtlichen Aufsichtsbehörde erteilt wird.

Unmittelbar nach der Abschaltung eines Kernkraftwerks befinden sich die abgebrannten Brennelemente noch in der Anlage, die mit ihrer bestehenden Betriebsgenehmigung im Nachbetrieb geführt wird. Diese Nachbetriebsphase dauert in der Regel ca. vier bis fünf Jahre, in denen die Brennelemente aus der Anlage in das Standortzwischenlager gebracht werden und Anlagenteile abgebaut werden können, die für den Leistungsbetrieb erforderlich sind. Das können beispielsweise Kühltürme, Maschinentransformatoren oder die Turbinen und der Generator bei Druckwasserreaktoren sein. Auch im Reaktorgebäude können verschiedene Komponenten ausgebaut werden sowie Dekontaminationsarbeiten zur Vorbereitung des Rückbaus stattfinden.

Im allgemeinen Sprachgebrauch wird „stilllegen“ häufig mit „abschalten“ gleichgesetzt. Tatsächlich beginnt die Stilllegung, wie das Atomgesetz sie versteht, in der Regel erst einige Jahre nach der endgültigen Abschaltung der Anlage, da erst das erforderliche Genehmigungsverfahren mit Öffentlichkeitsbeteiligung durchlaufen werden muss. Ähnliches gilt auch für andere kerntechnische Anlagen wie Forschungsreaktoren und Anlagen zur Versorgung mit und Entsorgung von Kernbrennstoffen.

Kernstück der Stilllegung ist der Rückbau des nuklearen Teils der Anlage und das Management der radioaktiven Abfälle. Die Stilllegung ist eine technisch und organisatorisch anspruchsvolle Aufgabe und erfordert spezifische Fachkenntnisse. In Deutschland und im Ausland gibt es bereits umfassende Erfahrung, sowohl hinsichtlich der Planung und Durchführung als auch bezüglich spezieller Techniken zur Dekontamination und zur Zerlegung von Anlagenteilen. 

Der Rückbau von Kernkraftwerken und anderen kerntechnischen Anlagen ist in Deutschland kein Neuland: Es wurden bereits drei Kernkraftwerke und eine Reihe sonstiger kerntechnischer Anlagen vollständig abgebaut. Auch größere kommerzielle Kernkraftwerke an den Standorten Stade, Obrigheim, Mülheim-Kärlich und Greifswald befinden sich im Rückbau, am Standort Würgassen ist der kerntechnische Rückbau bereits abgeschlossen. Von den Kernkraftwerken die mit der 13. Novelle des Atomgesetzes im Jahr 2011 die Berechtigung zum Leistungsbetrieb verloren haben, erhielten fünf Anlagen ihre Stilllegungs- und Abbaugenehmigung: Isar 1, Neckarwestheim 1, Philippsburg 1, Biblis A und B.

Ziel des Rückbaus ist in der Regel ein vollständiger Abbau der Anlage bis zur so genannten „Grünen Wiese“ bzw. eine uneingeschränkte Nachnutzung des Kraftwerksgeländes. Für den kerntechnischen Rückbau im Anschluss an die Nachbetriebsphase werden rund 10 bis 15 Jahre veranschlagt an deren Ende ein konventioneller Abbruch erfolgt, sofern keine Nachnutzung der Gebäude erfolgt. Die Techniken für den Rückbau sind erprobt, erfahrenes Fachpersonal steht zur Verfügung und die Genehmigung sowie das Management der Stilllegung erfolgen nach eingespielten Vorgehensweisen. Daher bestehen beim Rückbau der Kernkraftwerke keine spezifischen Gefahren für die Bevölkerung, die Umwelt und das Personal.

Für die Kosten von Nachbetrieb, Rückbau, Abriss sowie die Konditionierung und Verpackung der radioaktiven Reststoffe haben die Betreiber der Anlagen Rückstellungen gebildet. Die operative und finanzielle Verantwortung für diese Aufgaben und die dafür gebildeten Rückstellungen verbleiben auch nach der Neuordnung der Finanzierung der kerntechnischen Entsorgung von 2017 bei den Betreibern der Kernkraftwerke. Demgegenüber geht die  Verantwortung für die Zwischenlagerung sowohl der abgebrannten Brennelemente in den Standortzwischenlagern als auch der schwach- und mittelaktiven Abfälle in den Abfalllagern der Standorte am 1. Januar 2019 bzw. dem 1. Januar 2020 an den Bund über, der die Zwischenlager durch die Bundesgesellschaft für Zwischenlagerung betreiben wird. Die Mittel u. a. für diese Aufgabe wurden Anfang Juli 2017 von den Betreibern an die bundeseigene Stiftung „Fonds zur Finanzierung der kerntechnischen Entsorgung“ übertragen.

Der allergrößte Teil der beim Rückbau anfallenden Stoffe kann allerdings wiederverwertet oder  konventionell deponiert werden. Die Aufteilung der Stoffströme in die Kategorien radioaktive Abfälle, deponiepflichtige Abfälle, verwertbare Reststoffe wird in einem Freigabeverfahren gemäß Strahlenschutzgesetz geregelt.

Für die schwach- und mittelaktiven Abfälle ist die Verbringung ins Endlager Konrad vorgesehen, das derzeit errichtet wird und Mitte der zwanziger Jahre zur Verfügung stehen soll. Die abgebrannten Brennelemente sollen in einem Endlager für hochradioaktive Abfälle deponiert werden, für das derzeit ein Standort gesucht wird. Wann ein solches Endlager betriebsbereit sein wird, lässt sich derzeit nicht zuverlässig abschätzen.

Besonders die schwach- und mittelaktiven Abfälle sind sehr vielfältig in chemischer Zusammensetzung und Konsistenz. Um alle Arten dieser radioaktiven Abfälle sicher zu verpacken, stehen verschiedene Verfahren beziehungsweise Anlagen zur Konditionierung zur Verfügung. Ziel ist es letztlich, die Annahmebedingungen für das künftige Endlager Konrad einzuhalten.

Flüssige Abfälle können eingedampft oder zementiert werden. Feste Abfälle werden zerkleinert, getrocknet, verbrannt, geschmolzen, kompaktiert (= zusammengepresst) oder zementiert. Wenn die Abfälle zu festen Abfallprodukten (etwa Presslinge oder Konzentrate) verarbeitet wurden, werden sie in standardisierten, dafür zugelassenen Behältern verpackt. Wichtig ist, dass Abfälle und Behälter den Vorgaben entsprechen. So dürfen unterschiedliche radioaktive Abfälle zusammen verpackt werden, jedoch muss eine Reaktion zwischen den Abfallsorten, dem Mittel zur Fixierung (meist Beton) und der Verpackung weitestgehend ausgeschlossen werden.

Behälter für die (End-)Lagerung schwach- und mittelaktiver Abfälle

Bei den Behältern, die es in zahlreichen Varianten gibt, bestehen drei unterschiedliche Typen: zylindrische Betonbehälter, zylindrische Gussbehälter und Container.

Die zylindrischen Betonbehälter werden in der Regel für fixierte Abfälle genutzt und können aus Normal- oder Schwerbeton bestehen. In sie werden Fässer mit radioaktiven Abfällen in der Größe von 200 bzw. 400 Liter eingestellt. Hohlräume werden dann mit Beton ausgegossen.

Zylindrische Gussbehälter werden meist für die Verpackung von losen Abfällen verwendet. Je nach Anforderung sind unterschiedliche Abmessungen und Wandstärken zur Abschirmung verfügbar.

Container sind große quaderförmige Behälter aus Stahl, armiertem Beton oder einem Gusswerkstoff, die es in unterschiedlichen Größen und mit verschiedenen Wandstärken gibt. In die Container können je nach Typ Fässer oder Bauteile eingeladen werden. Auch hier werden die Hohlräume i. d. R. mit Beton vergossen. Abschließend werden alle Behältertypen dauerhaft mit einem Deckel verschlossen.

Beim Rückbau von Kernkraftwerken und anderen kerntechnischen Einrichtungen fallen sehr viele unterschiedliche Materialien (z. B. Kabel und Kabelisolierungen, Pumpengehäuse, Betonschutt, Armierungen) aus den verschiedenen Anlagenbereichen an. Größere Teile von Kernkraftwerken sind generell keiner radioaktiven Kontamination oder Aktivierung ausgesetzt, etwa das betriebliche Kühlsystem (Kondensatoren, Kühltürme), das Turbinenhaus bei Druckwasserreaktoren, Notstromsysteme, Verwaltungsgebäude, Werkstätten etc.

Diese Bereiche können im Rahmen von Stilllegung und Rückbau entsprechend der Genehmigungsanforderungen von der Aufsichtsbehörde ohne Freigabeverfahren aus der atomrechtlichen Überwachung entlassen werden. Die Rückbau- und Abbrucharbeiten vollziehen sich hier wie bei anderen Industrieanlagen, Gewerbe- oder Wohngebäuden entsprechend der Regelungen des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes, der geltenden Bauordnungen, Immissionsschutzvorschriften, Gefahrstoffverordnungen etc.

Der Rückbau von Anlagen und Gebäuden aus dem Kontrollbereich unterliegt zusätzlich zu den o. g. Bestimmungen der atomrechtlichen Überwachung. Der Umgang mit diesen Stoffströmen wird in der Strahlenschutzverordnung (StrlSchV) mit dem Freigabeverfahren nach § 29 geregelt. Dabei wird zwischen drei Kategorien von Reststoffen/Abfällen unterschieden:

  • Radioaktive Abfälle, die in einem Endlager für (schwach- und mittel-) radioaktive Abfälle eingelagert werden müssen
  • Freigemessene, deponiepflichtige Stoffe mit geringfügiger Radioaktivität, die nicht in einem Endlager aber auf Deponien eingelagert werden müssen
  • Verwertbare Reststoffe, die die Grenzwerte für eine uneingeschränkte Freigabe erfüllen und uneingeschränkt einer konventionellen Wiederverwertung zugeführt werden können.

Sowohl die deponiepflichtigen Abfälle als auch die verwertbaren Reststoffe gelten nicht als radioaktive Abfälle, da diese über ein Freigabeverfahren nach § 29 StrlSchV aus dem Geltungsbereich des Atomgesetzes entlassen werden, weswegen man von Freigabe bzw. Freimessung spricht. Die deponiepflichtigen Abfälle müssen dabei der Bedingung entsprechen, dass weder für Mitarbeiter noch für Personen der allgemeinen Öffentlichkeit, etwa Anrainer der Deponie, ein Dosisgrenzwert von 10 Mikrosievert (0,01 Millisievert) pro Jahr überschritten wird. Dies entspricht 0,5 Prozent der durchschnittlichen natürlichen Dosis in Deutschland von 2,1 Millisievert pro Jahr.

Zur Einordnung des Freigabegrenzwertes von 0,01 Millisievert pro Jahr ein Vergleich: dieser Wert ist 100 mal niedriger, als der Wert, der bei Baumaterialien für Wohngebäude oder bei der Entsorgung von Material, das mit natürlicher Radioaktivität angereichert ist als unbedenklich betrachtet wird (1 Millisievert pro Jahr). Baustoffe mit erhöhter natürlicher Radioaktivität sind etwa Granite, Gneis, Porphyr und Tuff, Sand und Gipsplatten oder mit Alaunschiefer hergestellter Leichtbeton.

Der Betreiber der Anlage, z. B. des Kernkraftwerks führt das Freigabeverfahren in mehreren Schritten in gutachterlich geprüften, von der Aufsichtsbehörde genehmigten Messeinrichtungen nach vorgeschriebenen Verfahren durch. In der Praxis wird das Material aus dem Rückbau in normierten Metallkörben in einer geeichten Messkammer ausgemessen und die Ergebnisse der Messungen sowie die Stoffeigenschaften dokumentiert. Die Freigabe kann nur von der Aufsichtsbehörde Behörde erteilt werden, die freigemessenen Materialien werden regelmäßig in Stichproben von Gutachtern im Auftrag der Aufsichtsbehörde geprüft.

Nach der Freigabe werden die sonstigen Abfallvorschriften auf die Materialien angewendet und ein großer Teil kann wieder verwertet werden, wie im Kreislaufwirtschaftsgesetz vorgesehen. So kann Bauschutt im Straßenbau verwertet werden, Metalle fließen wieder in die Produktion ein usw.

Für die deponiepflichtigen Abfälle sind Deponien ab Klasse eins und 10.000 Jahrestonnen Einbaumenge geeignet. Für die Annahme durch die Deponie bestehen darüber hinaus Mengenbegrenzungen. Die Strahlenschutzverordnung regelt für verschiedene Stoffgruppen aus dem Rückbau detailliert nuklidspezifische Obergrenzen für die Freigabe zur Deponierung und zur Verwertung.

Die Unterteilung in deponiepflichtig und wiederverwertbar besteht übrigens nicht nur nach der Strahlenschutzverordnung, sondern gilt generell für möglicherweise bzw. tatsächlich kontaminierte Abfälle. So gelten etwa bei einem alltäglichen, konventionellen Abbruch von Wohngebäuden Dachziegel, Mauerwerk, Beton und Estrich als wiederverwertbarer Bauschutt. Mörtel und Verputze oder Kies und Sand sind dagegen deponiepflichtig, Material aus dem Abbruch von Kaminen ist unter Umständen als Sondermüll zu behandeln.

Die Betreiber der Kernkraftwerke und anderer kerntechnischer Anlagen sind gesetzlich verpflichtet, die Kosten der Stilllegung und des Rückbaus ihrer Anlagen sowie die der Konditionierung bzw. Bereitstellung des radioaktiven Abfalls aus Betrieb und Rückbau zu tragen. Diese Kosten fallen zum kleineren Teil während des Betriebs und zum größeren Teil nach der Abschaltung über einen Zeitraum von rund 20 Jahren an. Für diese Verpflichtungen haben die Betreiber der Kernkraftwerke in Deutschland in ihren Bilanzen Rückstellungen in Höhe von mehr als 20 Milliarden Euro gebildet.

Rückstellungen in diesem und anderen Bereichen werden für zukünftige Zahlungsverpflichtungen gebildet, die hinsichtlich Höhe oder Fälligkeit ungewiss sind. Rechtsgrundlage für die Rückstellungen im Kernenergiebereich sind das Atomgesetz, das die Betreiber zur Übernahme dieser künftigen Kosten verpflichtet und das Handelsrecht, nach dem solche absehbaren Zahlungsverpflichtungen zu bilanzieren sind.

Konkret umfassen die Verpflichtungen der Betreiber von Kernkraftwerken in diesem Bereich die Aufgaben der Stilllegung und des Rückbaus der Kernkraftwerke, die Verpackung von bestrahlten Brennelementen und radioaktiven Abfällen aus der Wiederaufarbeitung sowie die Konditionierung und Verpackung von sonstigen radioaktiven Abfällen einschließlich der Betriebsabfälle sowie die Rückführung der radioaktiven Abfälle aus der Wiederaufarbeitung.

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